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WIEN / Staatsoper: ARMIDE

16.10.2016 | KRITIKEN, Oper

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Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
ARMIDE von Christoph Willibald Gluck
Premiere: 16. Oktober 2016

Die Alcinen, Alcesten, Armiden – jene Damen, die die Opern vordringlich des 18. Jahrhunderts bestückten, können einem schon durcheinander kommen. Aber Alcina ist wohl die populärste. Nicht, dass irgendjemand (Ausnahmen natürlich ausgenommen) je Tassos „La Gerusalemne liberata“ gelesen hätte, aber man weiß, dass dort der Kreuzritter Rinaldo der Zauberin Alcina kurzfristig erliegt.

Ein Lieblingsthema der Opernkomponisten übrigens, das Programmheft der Staatsoper zu Glucks „Armidee“ führt 38 Opern zu dem Thema auf, und gut ein Dutzend der beteiligten Komponisten zählt zu den Promis. (Wir kennen wohl am ehesten die Rossini-Version, die Met spielte die Oper 2011 mit Renée Fleming, 2014 war sie in Pesaro zu sehen.)

Zu den populärsten Armida-Komponisten gehört Christoph Willibald Gluck, der 1777 (im gleichen Jahr komponierte Cimarosa seine Version der Geschichte) auf das Libretto von Philippe Quinault so scharf war, dass es ihn nicht störte, dass Lully dasselbe schon 1686 komponiert hatte (war ja auch eine Zeit her). Und für Gluck wurde die in Paris uraufgeführte „Armide“ sehr wichtig, zählt man sie doch allgemein zu seinen besten Werken (es war auch eines seiner letzten).

Und tatsächlich, das Koloraturen-Theater des Barocks, Rezitativ und Arie, Rezitativ und Arie, ist hier musikalisch und dramaturgisch voll aufgebrochen, die Musik bedient nicht nur geläufige Gurgeln, sondern erzählt mit dem Orchester, dem Chor und den individuell geformten Solisten die Geschichte, die hier eine besonders dramatische und auch grausame ist, also entsprechend stark und emotional. Tatsächlich trommelt und dröhnt Glucks Musik am Anfang und am Ende martialisch vom Krieg, und der Komponist macht immer wieder klar, dass es hier nicht um edle Gefühle, sondern weit eher um Todesdramatik und Düsternis geht und die Liebe am Rande bleibt.

Nun mögen die Franzosen „Monsieur Gluck“ (sprich: Glück) für sich beanspruchen, sie haben sicher Teil an ihm, aber historisch ist er doch mit Haydn ein Gründungsbaustein der Wiener Klassik, und so sollte er auch klingen. Da gehören die Wiener Philharmoniker in den Orchestergraben, um das authentisch zu interpretieren, weil es eben nicht mehr „alte Musik“ ist. Aber Dominique Meyer schwärmt für den „Originalklang“ und brachte, wie schon für Händels „Alcina“, Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre ins Haus. Aber bei Gluck sind sie eben nicht richtig. Minkowski ist ein ähnlicher Fall wie Harnoncourt, also absolut nicht jedermanns Wahl. So klang Gluck grob, hölzern, trocken, scharf und viel zu laut, dass nicht nur die Sänger Mühe damit hatten, sondern auch die Ohren des empfindlicheren Teils des Publikums.

Das erste, was man an diesem „Armide“-Abend ausgetauscht haben wollte, wären also Orchester und Dirigent (ohne deren Rang schmälern zu wollen – es passt nur nicht alles zu allem). Das zweite wäre wohl die die Ausstattung von Pierre-André Weitz, denn es ist langsam zu öde, nur Metallgestelle auf die Bühne zu bringen (das war doch zuletzt in „Chowanschtschina“ der Fall? Und in der Josefstadt bei „Niemand“? Und wie oft noch?) – auch wenn man die einzelnen Teile bewegt, sieht die Szene im Grunde immer gleich aus, es ist nichts mit ihr anzufangen, sie sperrt das Geschehen ein, reduziert es auf willkürliche Gänge und wenn immer wieder von „lieblicher Gegend“ gesungen wird – nein, es gibt sie nicht. Dabei wäre etwas Abwechslung nicht unwichtig für das Geschehen.

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Armide – ein Mann

Regisseur Ivan Alexandre erweckt den Eindruck, als interessierte er sich nur für den brutalen Teil des Geschehens – Armide schneidet einem Gefangenen eigenhändig die Kehle durch, Blut sickert, Kopf fällt nach vorne, der Dame möchte man nicht einmal im Hellen begegnen. Bloß – sie ist ja keine. Das Programmheft teilt es dem Publikum vorsichtshalber mit, damit keine Zweifel aufkommen, dass Armide ein junger, als Frau verkleideter Soldat ist, der von den Muselmanen als Sexfalle gegen die Kreuzritter eingesetzt wird (Muslimisches gibt es absolut nichts an diesem Abend, man könnte ja jemandem Unrecht tun, also ist es gescheit, das Thema gar nicht anzusprechen.)

Also, welche Folgen hat diese geniale Idee? Ist das zwischen Rinaldo (pardon, hier heißt er ja Renaud) und Armide also eine schwule Geschichte? Jedenfalls zeigt der Herr nach der Liebesnacht keinerlei Anzeichen von Befremden. Immerhin wird das Motiv weitergeführt – als Armide sich danach kurz in die Unterwelt entfernt (man soll Männer nach dem Sex einfach nicht allein lassen), wird Renaud nicht von schönen Damen, sondern von einer Anzahl nicht unaggressiver junger Männer in Frauenmänteln bedrängt. Wohl fühlt er sich dabei augenscheinlich nicht.

Gut, und was bringt das? Es wäre gendermäßig ausgesprochen unkorrekt zu behaupten, so böse und brutal wir Armide könne eigentlich nur ein Mann sein – das bringen die Frauen auch zustande. Wie kann man die Vorgabe zu Ende denken, zumal es ja auch kein Zeichen gibt, dass Renaud mit einem Mann geschlafen hat? Die Idee ist schlechtweg sinnlos und bringt gar nichts.

Der Abend, der volle und sehr lange drei Stunden dauert, bietet die Pause nach einer Stunde, und anschließend geht es nur bergab. Die Szene mit dem Haß ist weder dramatisch, noch verursacht sie Gänsehaut (und so wäre sie wohl gedacht), wenn die beiden Gefährten von Renaud von zwei Damen verführt werden sollen (Armide kommandiert dafür ihre Dienerinnen ab), nimmt das kein Ende und ist von quälender Langeweile, und wenn es nach der Liebesszene Armide / Renaud ein „Ballett“ gibt, dann kann es fader nicht sein, so wie sich die Herren gemächlich in den Eisenteilen der Dekoration winden (Choreographie: Jean Renshaw).

Und wenn die Dramatik des Geschehens, zumal um die beiden Hauptfiguren, nicht zündet – ja, dann liegt es an den Sängern. Wenn der Direktor des Hauses die Hauptrollen mit zwei weitgehend unbekannten Sängern besetzt (ja, die Mezzosopranistin war schon die Meg Page in München), dann müssten die beiden besonders gut sein. Und davon ist nicht die Rede. Sicher sind auch sie Opfer des immer zu lauten Orchesters, und es fragt sich, weil so viele Sänger an diesem Abend es tun, ob der Dirigent einen Stil der frontalen Lautstärke vorgegeben hat. Jedenfalls darf Gaëlle Arquez kaum je mezzavoce singen (was dann ganz gut klingt), sondern muss ihre höheren Register dermaßen pressen, dass nur Schrille herauskommt. Und Stanislas de Barbeyrac bietet zu seiner baritonalen Mittellage ein Dauerforcement in der Höhe, was auch nicht eben gut klingt. Beide sind sympathisch, beide sehen besonders gut aus, aber mitreißende Bühnenpersönlichkeiten sind sie nicht. Und genau das würden ihre exzessiven Figuren brauchen.

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Stanislas de Barbeyrac, Gaëlle Arquez

In den Nebenrollen konnte ein guter Teil des Ensembles untergebracht werden: Hila Fahima mit Glöckchenstimmchen und die lyrischere Olga Bezsmertna als Dienerinnen (hat man den Verdacht, dass auch sie verkleidete Männer sind?), Stephanie Houtzeel als Haß, Paolo Rumetz als blinder König, Gabriel Bermúdez und Neuling Bror Magnus Tødenes als hyperaktive Kollegen von Renaud, dazu noch Mihail Dogotari, und der Gustav Mahler-Chor muss den hauseigenen ersetzen (warum eigentlich? Das Japan-Gastspiel kommt doch erst?).

Vielleicht sollte man den Abend, so wie er ist, ans Théâtre des Champs-Élysées schicken und um einen neuen Gluck-Versuch bitten. Im Zuschauerraum auffallend viele Franzosen, die den großen Beifall anheizten. Nur ein einzelner beherzter Buh-Ruf gegen die Regie. Wenigstens etwas Widerspruch in dieser Welt des kritiklosen Konsenses.

Renate Wagner

 

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