WIEN / Staatsoper: „ARIADNE AUF NAXOS“ – 31.01.2025
Lise Davidsen, Michael Spyres. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
“Ariadne ist das Ereignis des Abends, um Ariadne zu hören, versammeln sich Kenner und vornehme Personen im Hause eines reichen Mannes, Ariadne ist das Losungswort. Sie sind Ariadne, und morgen wird überhaupt niemand mehr wissen, dass es außer Ariadne noch etwas gegeben hat.“ Das singt der Musiklehrer im Vorspiel zu „ARIADNE AUF NAXOS“, um die aufgebrachte Primadonna zu beruhigen. Und Ariadne war an diesem Abend dann auch wirklich das Ereignis, obwohl es eigentlich ganz anders geplant war.
Als vor einem Jahr in der Spielplanpräsentation für die Saison 2024-25 Anna Netrebko als Ariadne angekündigt wurde, haben bereits viele Stammbesucher vorausgesagt, dass die Starsopranistin nicht singen wird. Diese Zweifler sollten Recht behalten; wegen „mangelnder Vorbereitungszeit“ hat Anna Netrebko ihr Rollendebüt abgesagt. Aber der Wiener Staatsoper ist es gelungen einen mehr als guten Ersatz zu finden. Die norwegische Sopranistin Lise Davidsen, die in dieser Partie 2017 ihr Debüt im Haus am Ring gegeben hat, übernahm kurzfristig die vier Vorstellungen anstelle von Anna Netrebko. Mit einer leuchtkräftigen Stimme, die von den tiefsten Tiefen („…Totenreich“) bis zu den strahlenden Höhen bruchlos geführt wird, mit schier endlosem Atem und mit wundervollen Piani bewies Lise Davidsen, dass sie wirklich eine Idealbesetzung der Titelpartie dieser Richard-Strauss-Oper ist.
Mit den Interpretinnen der Zerbinetta habe ich heutzutage so meine Probleme. Ich habe Edita Gruberova in mehr als 100 Vorstellungen (in Wien, Salzburg, München, Hamburg, Zürich, Barcelona etc.) gesehen. Ich muss mich nun in jeder Vorstellung erst daran gewöhnen, dass die heutigen Sängerinnen der Zerbinetta viel kleinere Stimmen haben. Die aus Spanien stammende Sopranistin Sara Blanch verfügt über eine nicht allzu große Stimme, bewältigt aber mit perlenden Koloraturen und sicheren Spitzentönen ihre große Arie „Großmächtige Prinzessin“ bravourös. Es sei ihr daher eine anschließend verpatzte Phrase gerne verziehen. Seltsamerweise hat Zerbinetta in dieser Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf nicht nur die vier namentlich bekannten Liebhaber (Jusung Gabriel Park als Harlekin, Andrea Giovannini als Scaramuccio, Simonas Strazdas als Truffaldin und Daniel Jenz als Brighella), sondern auch noch zwei namentlich nicht genannte, unnötigerweise herumhopsende Begleiter.
Richard Strauss hat bekanntermaßen Tenöre gehasst. Deshalb hat er für sie fast unsingbare Partien geschrieben wie den Bacchus. Der vielseitige Baritenor Michael Spyres, der erst vor kurzem an der Staatsoper in der Titelpartie von Hans Pfitzners „Palestrina“ persönlich einen Riesenerfolg für sich verbuchen konnte, bewältigte diese Partie mit Anstand. Während er an Stellen, an denen die meisten Tenöre scheitern, glänzte („Bist du auch so eine Zauberin“ hört man selten so schön), fehlt ihm für das Finale des großen Duetts mit Ariadne einfach das heldentenorale Fundament. Michael Spyres hat mit dem Bacchus zwar keine neue Idealpartie gefunden, allerdings ist er an dieser Partie auch nicht gescheitert, wie viele andere, auch prominentere Kollegen.
Im Vorspiel dominierte Adrian Eröd als sympathischer Musiklehrer mit kultiviertem Gesang und starkem Ausdruck. Eine herbe Enttäuschung hingegen war Kate Lindsey als Komponist. Ihre Stimme ist viel zu klein für diese Partie. Richard Strauss hat den Komponisten eigentlich für Sopran komponiert. In den letzten Jahr(zehnt)en wurde diese Partie aber fast immer mit einem Mezzosopran besetzt. Natürlich, wenn man so großartige Sängerinnen wie Agnes Baltsa, Ann Murray oder zuletzt Sophie Koch zur Verfügung hat, dann ist das sehr zu begrüßen. Aber so dünnstimmig, wie an diesem Abend, darf der Komponist einfach nicht klingen. Dann verpufft die Ode an die Musik („Musik ist eine heilige Kunst“) völlig. Aber auch an dieser Partie sind schon prominente Sängerinnen gescheitert.
Bernhard Schir als Haushofmeister. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Bernhard Schir war der neue Haushofmeister mit arrogantem Tonfall. Die unverwechselbare Blasiertheit, die Peter Matić in der Premiere dieser Produktion auf die Bühne gebracht hat, erreicht er leider (noch) nicht. Überzeugend: Oleg Zalytskiy als Offizier, Thomas Ebenstein als schwuler Tanzmeister, Wolfram Igor Derntl als Perückenmacher und Marcus Pelz als Lakai.
Für den Dirigenten ist das Vorspiel viel heikler als die anschließende Oper. Im Vorspiel muss jeder Einsatz sitzen, sonst droht das Ganze auseinanderzufallen. Ich kann gar nicht aufzählen wie viele Schmisse ich in den vielen Ariadne-Aufführungen da schon erlebt habe. Da braucht man schon einen Meister, um unfallfrei bis zur Pause durchzukommen. Cornelius Meister animierte das Orchester der Wiener Staatsoper zu einem berauschenden, aber stets transparenten Strauss-Klang (obwohl einzelne Musiker auch da immer wieder hörbar patzten).
Lise Davidsen hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass sie mit Zwillingen schwanger ist und deshalb sämtliche geplanten Auftritte von April bis Ende des Jahres abgesagt hat (darunter leider auch die für Juni geplanten Vorstellungen an der Wiener Staatsoper – Sieglinde in der „Walküre“ und Marschallin im „Rosenkavalier“). Bleibt nur noch eine Frage: wer ist Vater von Ariadnes Kindern? Welcher Mann hat die von den Nymphen Najade (Florina Ilie), Dryade (Daria Sushkova) und Echo (Ileana Tonca) bewachte Ariadne besucht, nachdem Theseus sie auf Naxos zurückgelassen hat und bevor der neue Gott Bacchus gekommen ist? Hat ihr da vielleicht Göttervater Zeus/Jupiter einen Blitz-Besuch abgestattet? Was hat uns da die Mythologie (bzw. Hugo von Hofmannsthal) verschwiegen? Scherz beiseite: Möge Lise Davidsen wieder an der Wiener Staatsoper gastieren, sobald ihr neues Engagement als Mutter das wieder zulassen wird.
Walter Nowotny