WIEN / Staatsoper: ANNA BOLENA am 25.10.2013
Mit Interesse konnte man der ersten Alltagsserie von Anna Bolena mit einigen Rollendebuts an der Wiener Staatsoper entgegensehen: Wie würde diese Produktion, die in der Premierenserie 2011 mit Anna Netrebko und Elina Garanca – den beiden Superstars des Opernszene – so begeisterte, wirken?
Die Inszenierung von Eric Genovese mit dem einfachen Bühnenbild in den Farbschattierungen „von dunkelgrau bis hellschwarz“ bewährt sich auch im Repertoirebetrieb und lebt sehr stark von der Personenführung – besonders vom wieder einmal hervorragenden Chor – und von den schönen Kostümen, die fast ausschließlich für die Farbakzente zuständig waren. Die Handlung läuft ungestört ab – man kann sich voll auf die dramatische Geschichte, die mit der Musik so eindringlich gestaltet wird, konzentrieren.
Evelino Pido hat auch schon die Premierenserie und das Japan-Gastspiel mit Edita Gruberova geleitet und beweist wieder Donizetti-Kompetenz. Das Staatsopernorchester liefert eine makellose Interpretation sowohl in den Orchesterpassagen als auch in der Sängerbegleitung. Die Holzbläser – im Besonderen – wurden ihrem guten Ruf gerecht. Der Chor sorgte für berührende Momente und gehörte zu den Stars des Abends.
Krassimira Stoyanova, die uns in den letzten Jahren schon als Desdemona, als Mimi, als Don Carlo – Elisabetta und als Ariadne viel Freude gemacht hat, erfüllte auch die hohen Erwartungen als Anna Bolena souverän. Ihre Stimme funktioniert in allen Lagen perfekt; die Koloraturen perlen mit Leichtigkeit, die Bögen in der Mittellage strömen technisch hervorragend geführt und die Ausflüge in den Alt-Bereich gelingen bruchlos und wohlklingend. Dank ihrem schönen Timbre und einer klaren, geraden Stimme ohne Schärfe reiht sich Krassimira Stoyanova auf Augenhöhe mit ihren großen Rollenvorgängerinnen ein.
Von Sonia Ganassi erlebten wir eine ganz andere Giovanna Seymour als von Elina Garanca in der denkwürdigen Premiere, die eine selbstbewusste und kühle Rivalin – mit viel Selbstreflektion – darstellte und natürlich hervorragend sang. Die Giovanna von Sonia Ganassi wirkt weicher, fraulicher – vielleicht auch machtorientiert wie Anna – jedoch man glaubt ihr, dass sie in die Affaire mit dem König “hineingeschlittert” ist, dass sie bereut und leidet. Ihre gesangliche Leistung ist – wahrscheinlich auch dank der Erfahrungen als Giovanna neben „der Gruberova“ routiniert im besten Sinn des Wortes. Auch sie ist in Hochform und gestaltet das Duett mit der Königin zu einem der Höhepunkte.
Luca Pisaroni wirkt als Enrico VIII bedrohlich, böse und egozentrisch – ausgedrückt mit einem sehr schönen und technisch perfekten Bariton – eindeutig eine Steigerung zur Premierenserie (Ildebrando d’Arcangelo war damals nicht ganz fit angetreten).
Weniger Freude machte uns Stephen Costello als Lord Riccardo Percy. Er singt fast alles richtig und ist auch Höhensicher, aber sein „tenore di grazia“ klingt oft kehlig und gepresst und mit der Stimmfärbung haben wir persönlich Probleme.
Juliette Mars musste kurzfristig für die erkrankte Zoryana Kushpler als Smeton einspringen und bewältigte diese wichtige Rolle gut, konnte aber den Zauber, den Elisabeth Kulman in der Premiere ausstrahlte, nicht erreichen. Die gesangliche Leistung war aber mehr als nur passabel – Kompliment an das Ensemble der Wiener Staatsoper. Dieses Kompliment gilt auch für die sehr gute Interpretation des Sir Hervey durch Carlos Osuna und die Luxusbesetzung des Lord Rocheford mit dem edlen Bass von Dan Paul Dumitrescu.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass diese „Anna Bolena“ ohne gehypte Superstars mit etwas anders angelegten Charakteren ein schönes Erlebnis war – von grauer Alltagsroutine ist keine Rede.
Maria und Johann Jahnas