Foto: Wiener Staatsoper / Pöhn
WIEN / Staatsoper:
ANDREA CHÉNIER von Umberto Giordano
116. Aufführung in dieser Inszenierung
20. Mai 2019
Als österreichische Staatsbürgerin mit Wohnung in Wien macht sich Anna Netrebko in ihrer „Heimatstadt“ rar. In der nächsten Saison gar keinen Opernauftritt mit Ausnahme eines Liederabends, heuer gerade einmal vier Vorstellungen von „Andrea Chenier“. An der Seite ihres Gatten wiederholte sie, was sie im Dezember 2017 schon an der Scala geboten hatte. Eine Rolle, die, wie sie damals sagte, eine der kleinsten war, die sie je gesungen hat… Stimmt auch, wenn man es vergleicht: Der Titelheld hat vier berühmte Arien, die Maddalena di Coigny gerade einmal eine. Und wenn man es genau nimmt, außer dem prachtvollen Schlußduett sozusagen nur Kleinteiliges zu singen. Eine Tosca ist das nicht. Gab es deshalb für den sonst ausverkauften Abend kurz vor Beginn noch ein paar Balkon-Stehplätze?
Aber Netrebko ist Netrebko, vor allem, wenn sie loslegen kann. Ihre Höhe ist einfach berauschend – ob sie schwebende Piani produziert, ob sie mit leuchtendem Fortissimo immer nur wundersame Wonnen und nie Qualen erzielt (was bei Kolleginnen vorkommen mag): Diese Leidenschaftlichkeit geht unter die Haut. Dass zwischendurch – selten, aber doch – diese dunkel-gutturalen Töne durchkommen, die zu einer anderen Stimme zu gehören scheinen, verwundert stets von neuem, aber solange sie die Höhenregister mit solcher Qualität produziert, ist es noch kein Problem. Im übrigen versucht sie (versucht – geborene Schauspielerin ist sie nicht) vom jungen Mädchen des 1. Akts an (der Lächerlichkeit läuft sie nicht in die Arme) die tragische Entwicklung dieses Schicksals nachzuzeichnen, die Opferbereitschaft, den Liebestod. Das muss man glauben, und man tut es. Auch wenn es Rollen gibt, die ihr besser liegen, war es gut, sie auch als Maddalena di Coigny live zu erleben.
Wenn man einen Tenor braucht, der alle Töne, auch die höchsten singt, dann ist Yusif Eyvazov sicher eine gute Wahl. Bloß – es klingt nicht eine Sekunde schön. Was er technisch kann, wird von seinem Blechtimbre ausgehebelt, das ihn nie in höhere Stufen des Tenorissimo-Daseins führen wird. Solide, verlässlich (schließlich ist mit der Netrebko um die Wette zu singen), ist er als Figur allerdings ziemlich langweilig. Da kann er mit rabenschwarzem Haar und ebensolchem Bart wie ein Räuberhauptmann aussehen, es wird nicht einmal ein harmloser Poet daraus, geschweige denn ein Revolutionär. Ein im Hintergrund verbleibender Partner für eine berühmte Sängerin.
Letzteres ist auch Luca Salsi als Carlo Gérard, der sich offenbar auf die mit einiger Raffinesse und schönem Legato gesungene Arie konzentrierte – der Rest klang eher unkultiviert und oft forciert. Ob beide Männer absichtlich in den Schatten getreten sind oder ob auch andere von der Netrebko überstrahlt worden wären…? Vielleicht erlebt man sie in dieser Rolle einmal mit anderen Partnern.
Von den ganzen Comprimarii des Abends, von denen man die meisten Rollen schon besser bis viel besser gehört und gesehen hat, sei der eine erwähnt, der wirklich beeindruckte: Wolfgang Bankl ist (und das ist positiv gemeint!) ein schauerlicher Verwalter des Todes in diesem brutalen Revolutionsstück.
Und Marco Armiliato ist wieder einmal der Herr der Heerscharen am Pult, nur dann exzessiv fortissimo, wenn er keine Sänger überdeckt, sonst wunderbar differenziert in den vielen musikalischen Schichten des Werks, vom Rokoko-Getändel bis zur ergreifenden Arie der Großmutter, die ihren Enkel der Revolution gibt, was er mit berührenden Tönen geradezu umhüllte. Alles, was Verismo zu bieten hat. Mitsamt dem begeisterten Aufschrei das Publikums, das endlich wieder einmal die Primadonna assoluta unserer Tage erlebt hat.
Renate Wagner