WIEN/ STAATSOPER: ALCESTE; Première am 12.November 2012 (Georg Freund )
Joseph Kaiser, Veronique Gens. Foto: Barbara Zeininger
Christoph Willibald Gluck nimmt in der Musikgeschichte einen wichtigen Platz ein, auf der Bühne begegnet man seinen Werken aber erst in letzter Zeit wieder etwas häufiger. Er gilt als großer Reformator der Oper, der die angeblich in leerem Virtuosentum und maßlosem Kostümprunk erstarrte barocke opera seria erneuert und durch ein musikalisches Drama von größerer Natürlichkeit, in dem die Musik dem Wort dient, ersetzt hat . An Stelle der barocken Haupt-und Staatsaktionen sollten einfachere Stoffe treten. Gleichzeitig plädierte er für den dramaturgisch richtigen Einsatz des Balletts und etablierte den Chor als wichtigen Handlungsträger. Mit diesen Reformen hatte er anfangs großen Erfolg, aber bereits zu Zeiten E.T.A. Hoffmanns war sein Ruhm verblasst, wie wir aus der berühmten Novelle „Ritter Gluck“ entnehmen können und schon im Jahre 1892 klagte der angesehene Kritiker Max Kalbeck über das völlige Desinteresse des Publikums an einer Wiederaufnahme des Orfeo in der Wiener Hofoper.
Nun, ich würde sagen, dass gegenwärtig volle Häuser eher mit der von Gluck verteufelten Werken Händels und seiner Zeitgenossen zu machen sind als mit seinen Reformopern. Erst gestern wurden bei einem Arienabend von Joyce diDonato im Theater an der Wien nicht nur Werke Händels, sondern auch solche von Hasse, Cesti, Giacomelli, Orlandini, die seit Jahrhunderten in Archiven begraben waren, ebenso ausgiebig bejubelt wie vor zwei Wochen bei m Konzert der Bartoli die Arien des total vergessenen Komponisten Agostino Steffani. Virtuosentum in höchster Form reüssiert ja fast immer und wird besser aufgenommen als weihevolle, feierliche Deklamation, die Gluck bietet. Auch Kostümprunk wird zumindest von den meisten Zuischauern nicht verachtet, wie die begeisterten Reaktionen auf die prachtvollen Kostüme für Anna Bolena und Alcina zeigten.
Es ist immerhin verdienstvoll und interessant, dass in der Staatsoper mit Alceste eines der Hauptwerke des Reformators Gluck vorgestellt wird, der eine enge Beziehung zu Wien hatte: Sein Wohnhaus ist noch in der Wiedner Hauptstraße erhalten.
Die äußere Handlung der Oper ist im Sinne des Klassizismus zugunsten einer Darstellung des Seelenzustandes der Personen zurückgedrängt: Alceste ist verzweifelt, weil ihr Gatte Admète, der König von Thessalien todkrank darniederliegt. Als ein Orakel verkündet, der König könne genesen, wenn sich jemand anderer für ihn opfere, ist Alceste sofort bereit zu sterben. Admète will dieses Opfer aber nicht annahmen, doch sein Gastfreund Hercule entreißt Alceste dem Todesgott und Apollo vereint das liebende Paar und beendet so den Wettstreit der Gattenliebe.
Die aus dem Drama Alkestis des Euripides entnommene Lösung eines Konfliktes durch einen deus ex machina widerstrebt modernem Empfinden und überfordert unsere heutigen fortschrittlichen Regisseure, die mit der antiken Götterwelt ganz und gar nichts anzufangen wissen und sie entweder wie Klaus Guth zu lächerlichen Popanzen degradieren oder wie Christof Loy in ein Kind umdeuten.
Ja, Admète herrscht in dieser Inszenierung über ein Volk von überreifen Kindern. Die Damen und Herren des Chors – ausschließlich Erwachsene-tragen altmodische Kinderkleider und haben oft auch Spielzeug in den Händen. Anerkennend muss festgestellt werden, dass diese Kinder im antiken Thessalien bereits eine politisch korrekte cross-gender-education genossen haben, denn auch Knaben spielten mit Puppen. Christof Loy ist im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen kein Scharlatan und ich habe in München auch eine zutiefst berührende Inszenierung der Lucrezia Borgia von ihm gesehen. Diesmal war er freilich nur teilweise erfolgreich. Die Idee, aus Landeskindern, die das Libretto mit „enfants“ bezeichnet, Kinder im Literalsinn zu machen, trägt nicht und wirkt einfach unernst, ja burlesk. Schade auch, dass die heutigen Regiestars das Ballett scheuen wie der Teufel das Weihwasser und statt ausgebildeter Tänzer Chor oder Statisten herum hopsen lassen, wenn sie nicht gar die Tanzszenen vollständig eliminieren. Aus dem Oberpriester Apollons wurde ein bösartiger katholischer Geistlicher, vor dem die Kindern große Angst zeigten und der mit Kreuz und Messbuch in der Hand die heidnischen Götter anrief- eine geschmacklose Idee. Das sehr schlichte Bühnenbild zeigte eine Zimmerecke mit Fenster und Schiebetür, hinter der wechselnde Dekorationen erschienen. Die Unterwelt etwa wurde als Marionettendepot dargestellt.
Wesentlich erfolgreicher war Loys Personenführung für Alceste und Admète: Die aus dem Theater an der Wien bekannte Véronique Gens verkörperte in vollendeter Weise die liebende, verzweifelte Gattin und war sogar als Gouvernante des Kinderchors überzeugend. Sie verfügt über eine hoheitsvolle, schlanke Erscheinung und über enorme Bühnenpräsenz und sehr viel Charisma. Selbst im Nachthemd mit Bettsöckchen wirkte sie noch majestätisch. Wer vermag das schon? Spielen kann man die Alceste wohl kaum besser. Auch stimmlich war sie sehr gut: Im tieferen Register fühlte sich die Sängerin, die auch Mezzopartien im Repertoire hat, sichtlich wohl. Die Höhen dagegen waren nicht frei von Schärfe, wurden aber erreicht. Ein gewisses Vibrato ist wohl der Tribut der Stimme an eine lange Karriere. Merkwürdigerweise erzielte sie mit der Arie „Divinités du Styx“, der bekanntesten Nummer der Partitur, wenig Effekt.
Ihr Gatte Admète wurde von dem wesentlich jüngeren Joseph Kaiser mit sehr schönem Timbre und unverbrauchtem Material ausgezeichnet gesungen. Der Sänger war urspünglich ein Bariton und seine Stimme ist daher frei von dem kopfigen, meckernden Beiklang, den Tenöre, die man in Barockopern einzusetzen pflegt, oft haben. Sein musikalischer Ausdruck und seine Wortdeutlichkeit verdienen höchstes Lob und zudem verfügt er über blendendes Aussehen, das man vermutlich nicht dadurch beeinträchtigen wollte, dass man ihn älter erscheinen lässt. Das wäre aber doch anzuraten, denn so wirkten Admète-Alceste wie Ödipus und Jokaste.
Adam Plachetka konnte in der kurzen Partie des Hercule sein schönes, kräftiges Material mit Gewinn einsetzen und war auf Grund seiner Größe auch optisch für diese Heldenrolle prädestiniert. Clemens Unterreiner verkörperte als Oberpriester und Gott der Unterwelt endlich einmal eine Rolle , die seinem Können und seiner schönen Stimme entspricht. Benjamin Bruns war als Evandre sehr passend in einer Partie eingesetzt, die ihn nicht überforderte. Sehr positiv fiel Alessio Arduini als Herold und Apollon auf. Dieser neu engagierte Sänger ist wirklich ein Gewinn für die Wiener Staatsoper.
Der albern ausstaffierte Gustav MahlerChor sang ausgezeichnet und Ivor Bolton als Dirigent des Freiburger Barockorchesters sorgte für flüssige Tempi, die dem etwas zähflüssigen Werk gut taten.
Es gab freundlichen, nicht lange währenden Applaus des nicht ausverkauften Hauses für alle Mitwirkenden, Jubel für Véronique Gens, Joseph Kaiser und Ivor Bolton und eher gemäßigte Buhs für den Regisseur und sein Team. Wenig erfreulich ist, dass nach der in jeder Hinsicht scheußlichen Traviata schon wieder ein Werk aus der französischen Provinz in die Staatsoper übernommen wurde. Ob diese Co-Produktion mit den Festspielen in Aix-en -Provence wirklich die Kosten für Wien gesenkt hat ? J´en doute…
Georg Freund