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WIEN/ Staatsoper: ALCESTE – ein großes Missverständnis

13.11.2012 | KRITIKEN, Oper

GLUCK’S „ALCESTE“ ALS GROSSES MISSVERSTÄNDNIS (12.November 2012)


Adam Plachetka, Ileana Tonca. Foto: Barbara Zeininger

Musikalisch war die Gluck-Oper, die in Wien im Jahr 1767 auf Italienisch uraufgeführt und nun seit mehr als 5 Jahrzehnten im Haus am Ring nicht mehr gegeben wurde, ein „einhelliger“ Erfolg. Nicht der große Jubel nach einer Sternstunde war zu vernehmen – aber das, was man „freundliche Zustimmung“ nennen könnte, betraf vor allem den Dirigenten Ivor Bolton und die Solisten mit Veronique Gens an der Spitze, das Freiburger Barockorchester und den neuen Gustav Mahler-Chor. Vom Publikum vehement abgelehnt wurde hingegen die Regie von Cristof Loy, das Bühnenbild von Dirk Becker sowie die Kostüme von Ursula Renzenbrink. Das naive Gehopse, die endlosen Kinder-Reigen, die stilistische Übersiedlung der Antike in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts – das alles legte zumindest den Verdacht nahe, dass der deutsche Regisseur Christof Loy bei seinem Staatsopern-Debüt das falsche Stück gewählt hat. Denn im direkten Vergleich gewinnt die „Iphigenie en Aulide“, die parallel zur Alceste im Theater an der Wien geben wird – auch in musikalischer Hinsicht. Könnte man die Wiener Alceste- Produktion – in der französischen Zweitversion – ins Münchner Cuvillièstheater oder ins nähere Theater an der Wien übersiedeln, würde vielleicht das Konzept aufgehen. Aber so: ein depressives Stück über eine Fast-Tragödie (Alceste will ihr Leben opfern, um ihren geliebten Admète vor dem Sterben zu bewahren) mit einer Besetzung, die in entscheidenden Momenten vokale Überforderung bedeutet. Veronique Gens ist eine sensible Sängerin ohne Zweifel, sie ist der ideale Typ für die allzeit Trauernde – aber wenn sie die „Divinité du Stix“ beschwört, kommt sie an die Grenzen ihres ausdrucksstarken Singens (man kann sich davon auf You tube bis zurück zur Callas überzeugen). Ihr geretteter Ehemann ist ein weiterer Wien-Debütant: der kanadische Tenor Joseph Kaiser ist einer der vielen Operalia-Entdeckungen – eine „nette“ Stimme, ein ansprechendes Äußeres – mehr nicht. Das Timbre ist – um es vornehm zu sagen – etwas zu kehlig, der Vortrag naiv. Im Vergleich zu den Wiener Ensemblemitgliedern etwa dem prachtvoll „orgelnden“ Adam Plachetka (Hercule), dem bedrohlichen, dennoch ganz auf Linie schwelgendem Clemens Unterreiner (Oberpriester)oder der „engelhaften“ Ileana Tonca (Kind bzw. Koryphäe) verliert er jedenfalls.

Auch Ivor Bolton verströmt meines Erachtens mit dem Freiburger Barockorchester zu viel Originalklang-Euphorie, kostet jedes Detail zu sehr aus und schafft es nicht, den großen Raum mit Klang zu erfüllen.  Auch der neue Gustav Mahler-Chor wirkte noch recht unerfahren. Und die vielen unverkauften Galerie-Karten sind bei Premieren jedenfalls ein Novum – sie sollten als Alarmzeichen bewertet werden. Und auch die Tatsache, dass man Gluck im November in Wien nun fast täglich am Spielplan findet, richtet sich selbst. Nein – diese Gluck-Premiere war alles andere als ein Ruhmesblatt der Wiener Staatsoper und seines frankophonen Direktors. Sie war bestenfalls ein großes Missverständnis.

Peter Dusek

 

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