WIEN / Staatsoper: ADRIANA LECOUVREUR von Francesco CILÈA
11. Aufführung in dieser Inszenierung
22. Oktober 2021
Von Manfred A. Schmid
Nicht nur der derzeitige Staatsoperndirektor geht gerne shoppen. Auch die von seinem Vorgänger 2014 von der Londoner Oper Covent Garden übernommenen Inszenierung kann als Beispiel eines rundum gelungenen Einkaufs angeführt werden. Den Unterschied macht allerdings die Häufigkeit zugekaufter Produktionen sowie ihre Machart aus. Bei Bogdan Rosicic waren es in seiner ersten Zeit acht von insgesamt zehn Premieren, die importiert wurden, alle zudem mit dem Etikett „Regietheater“ zu versehen. Dominique Meyer ist da um einiges dosierter vorgegangen.
Wohl kaum einem anderen Regisseur gelingt es, den Bühnenraum so klug zu nützen wie David McVicar. Unterstützt von seinem eingespielten leading team, kann er selbst in den komplexesten Ensembleszenen den Fokus immer dorthin lenken, wo er hingehört. Charles Edwards stellt ein barockes Theatermodell auf die Bühne, das sich drehen kann und so immer neuen Konstellationen Raum zum Entfalten gibt. Im 4. Akt wird die Bühne gar zu einer Metapher für das Leben der Titelheldin: Adrianas letzte Begegnung mit ihrem Geliebten Maurizio findet vor leerer Bühne statt. Erst als sie stirbt, versammeln sich dort nach und nach alle Charaktere aus dem Stück, in dem sie zuletzt mitgespielt hat, um sich von ihrer Kollegin, der bewunderten Diva, zu verabschieden. Der Bühnenbildner meinte in einem Interview dazu, dass die Bühne dabei zu einer Art Spielzeugbühne Adrianas werde und ihr so die Möglichkeit hebe, in eine Traumwelt zu flüchten. Die gefälligen Kostüme von Brigitte Reiffenstuel verweisen ebenfalls auf die große Zeit der Comédie francaise. Für das Licht ist Adam Silverman zuständig, für die Choreographie des ebenfalls barockisierend gestalteten Balletts im 3. Akt zeichnet Andrew George verantwortlich.
Francesco Cileas Musik ist melodiös und ausdrucksstark. Nicht so dramatisch und auf stupende Effekte abzielend wie die seines erfolgreicheren Zeitgenossen Puccini, sondern zarter und in der Kolorierung überaus fein abgestimmt. Kein greller musikalischer Verismo, und dennoch nicht ohne Leidenschaft und überaus gefühlsbetont. Der Dirigent Asher Fisch rückt in seiner Gestaltung das Werk zuweilen in die Richtung der französischen Opéra comique. Manches Andere wiederum erinnert da an die meisterlichen, streicherverdoppelten Kantilenen Vincenzo Bellinis. Ob Fortissimo-Attacken oder elegant daherkommende Ariosi, das Staatsopernorchester liefert italienische Opernmusik gediegenster Art.
Adriana Lecouvreur ist eine typische Primadonnen-Oper. Gefragt ist eine Sängerin mit großer Ausstrahlung, vor allem in der Titelpartie, das gilt aber auch für die Besetzung ihrer Rivalin, der Fürstin von Bouillon. Das ist wohl mit ein Grund dafür, warum diese Oper nur selten auf den Spielplänen zu finden ist. So hat es auch die Wiener Adriana in sieben Jahren seit ihrer Premiere bisher nur auf 11 Aufführungen gebracht. Besonders mit dieser Rolle verbunden sind etwa die Namen von Magda Olivero, Renata Tebaldi und Renata Scotto.
Ihr Rollendebüt feiert in Wien die aus Albanien stammende Sängerin Ermonela Jaho, die Arien der Adriana bereits auf Tonträgern eingesungen hat, ansonsten aber vor allem als Cio-Cio-San, Mimi, Manon, Suor Angelica oder Violeta an den großen Bühnen der Welt hoch gehandelt wird. Ausgestattet mit einem lyrischen Sopran, der koloratursicher ist, und gepaart mit einer ausgeprägten darstellerischen Fähigkeit, erweist sie sich als eine vortreffliche Besetzung für diese Rolle. Ihre Adriana ist eine auf der Bühne umjubelte, souveräne und umschwärmte Diva, im Prívatleben aber eher eine fragile, verwundbare Frau, die sich nach der großen Liebe sehnt und bei leisesten Andeutungen bereits verunsichert wird. Wie sie dennoch im dritten Akt den Mut aufbringt, in einem bewusst gewählten Monolog auf der Bühne – aus Racines Phaedra rezitierend – eindeutig Kritik am Charakter ihrer Rivalin zu üben, ist eine besondere Leistung. Vergleichbar mit der Ermordung Scarpias durch Tosca, die ebenfalls Schauspielerin ist. Wie diese in „Vissi d’arte“, bekennt sich auch Adriana zu einem Leben für die Kunst, auch wenn sie sich dabei etwas bescheidener zeigt als Puccinis Diva. Schon bei dieser ersten Arie „Io son L’umile Ancella“ wird Jaho mit großem Applaus bedacht. Stimmlich faszinierend ist die Art, wie sie ihren gar nicht so besonders farbenreichen Sopran auf ein zartestes Pianissimo zurücknehmen kann, bis nur noch ein anmutiges Wispern zu vernehmen ist. Das ist atemberaubend und berührt zutiefst. Kein Wunder, dass ihr gerade die Sterbeszene, die wegen ihrer ungewohnten Länge oft als lähmend empfunden wird, besonders eindrücklich und herzzerreißend gelingt.
„Ha paura“ hat die Fürstin von Bouillon einmal zu singen: „Ich habe Angst.“ Das nimmt man der Frau, die nicht akzeptieren will, dass ihr Geliebter sich von ihr ab- und Adriana zuwendet, nicht ab, vor allem wenn dahinter die Mezzosopranistin Elina Garanca steht, die nicht nur gesanglich zu den besten ihres Faches zählt, sondern auch eine darstellerisch versierte, ausdrucksstarke Gestalterin ihrer Rollen ist. Nein, diese gekränkte, in ihrem Stolz verletzte Frau verbreitet Angst und sinnt gezielt auf Rache. Das vergiftete Blumenbukett ist das Ergebnis perfider Planung und geschieht nicht im Affekt. Ob in ihrer Beziehung zu Maurizio tatsächlich Leidenschaft und Liebe essenziell sind, oder nicht doch nur Besitzstreben, Macht und Bestätigung der Begehrlichkeit den Ton angeben? Diese gefährliche Fürstin strahlt in ihrer Torschlusspanik jedenfalls Kälte aus, kein Feuer. Auch Eis kann sengend sein. So etwas nennt man Eisbrand.
Der amerikanische Sänger Brian Jadge ist, ähnlich wie Ermonela Jaho, trotz seiner beachtlichen internationalen Karriere in Wien bisher nur einmal auf der Bühne zu erleben gewesen. Als Turridu in Cavalleria rusticana. Sein Maurizio, ein Soldat und Kriegsheld, ist ein robuster Geselle, laut, selbstbewusst und direkt. Jadge singt in allen Stimmlagen einheitlich sicher und mit bewundernswerter Atemtechnik. Geradezu unglaublich, wie er seinen markigen Tenor in manchen Phrasen anschwellen lässt. Was für eine Stimme! Mehr bleibt für diese Partie auch nicht zu wünschen übrig. Finesse ist hier nicht sonderlich gefragt, die dramatische Wucht seines Gesangs dafür überwältigend. Und in seiner sorgenden Liebe zur sterbenden Adriana findet er auch die rechten emotionale Zwischentöne.
Eine starke Leistung bietet auch Nicola Alaimo als Adrianas väterlicher guter Freund, Beschützer und beruflicher Wegbegleiter Michonnet. Der italienische Bariton hat diese Partie bei der konzertanten Aufführung 2019 im Rahmen der Salzburger Festspiele gesungen und überzeugt nun auch bei seinem Rollendebüt an der Staatsoper, an der er bisher vor allem im Belcantofach als Don Pasquale, Belcore und Dulcamara zu erleben war. Mit seinem warmen, wohlklingenden Bariton kümmert er sich um seinen Schützling Adriana und verleugnet dabei seine Liebe zu ihr.
Evgeny Solodovnikov als Fürst Bouillon tritt nicht sonderlich in Erscheinung, sondern bleibt ein eher hölzerner Adeliger. Bemerkenswerte Auftritte hat hingegen sein ihn ständig umschwirrender Berater. Andrea Giovaninni ist ein spielfreudiger Charaktertenor, der dem umtriebigen, intriganten Abbé mit Hingabe Profil verleiht. Alle weiteren Rollen sind ausgewogen gut besetzt, zu erwähnen etwa Ileana Tonca als Jouvenot sowie die drei Mitglieder des Opernstudios Ilja Kazakov, Angelo Pollak und Patricia Nolz.
Auf dem Programmzettel sind für diesen Opernabend insgesamt elf Mitwirkende angeführt, bis auf eine Ausnahme allesamt mit Rollendebüts. Dazu kommen weiters noch acht Tänzerinnen und Tänzer für die Balletteinlage. Ein Fest der Stimmen, das vom Publikum gebührend gefeiert wird.