Fotos: Barbara Palffy
WIEN / Theater Spielraum:
ZUR SCHÖNEN AUSSICHT von Ödön von Horváth
Premiere: 7. Jänner 2020,
besucht wurde die Vorstellung am 21. Jänner 2020
„Zur schönen Aussicht“, Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden, gehörte zu den ersten dramatischen Fingerübungen von Ödön von Horváth und ist noch entsprechend – steif. Für ein verfallenes Hotel und seine schäbigen, abgewrackten Insassen gab es Vorbilder in dem bayerischen Murnau, wo die Familie einige Male ihre Ferien verbracht hat, aber Horváth schaffte damals nur Figuren, keine verknüpfte Handlung : Er zeichnete den Hotelbesitzer, den „Kellner“ für alles, den Wein-Vertreter, der Schulden eintreiben will, den Chauffeur, der für eine „Freifrau“, der einzige Gast des Hauses arbeitet, und schließlich deren von Schulden gedrückten Bruder.
Die längste Zeit des Stücks treiben sich diese Leute im Hotel „Zur schönen Aussicht“ herum und werden – dafür hatte Horvath ein Händchen – in ihrer ganzen Schäbigkeit gemalt. Dann kommt die junge Frau, die vom Chef des Hotels ein Kind hat – und man vereinigt sich, um ihre Forderungen auf die schäbigste Art und Weise abzuschmettern. Das ist so vorhersehbar wie die „Pointe“: Als diese Christine nämlich sagt, dass sie 10.000 Mark besitzt (das wirklich vorzügliche Programmheft des Abends macht klar, dass ein Arbeiter in etwa fünf Jahren so viel verdiente), ist sie sofort Objekt der allgemeinen Begierde…
Dass Geld die Welt regiert – bei Nestroy sieht man es witziger, schärfer, intelligenter als hier. Nichts an diesem Horvath-Stück ist so gut, dass man es unbedingt spielen müsste, zu Lebzeiten des Autors gelang es nicht, erst als sein Name in der Nachkriegszeit immer heller leuchtete, hat man nach diesem Stück gegriffen.
Und heute? Nun, da hat es einen relativ „besonderen“ Aspekt: Hat Horvath uns in späteren Stücken immer wieder dabei zusehen lassen, wie schwache junge Frauen untergehen, hat diese Christine sich erfangen, ist eine starke Frau, kehrt den Männern den Rücken. Sie hat auch, möchte man dazu sagen, das Geld dazu – ein Umstand, den Horvath seinen bedauernswerten Heldinnen nie wieder zugestanden hat. Immerhin, starke Frauen sind „in“, möglicherweise ein Anlaß, das Stück zu spielen, ebenso wie die „Geld“-Problematik, die schließlich immer gilt.
Das Theater Spielraum, im ehemaligen Erika Kino in der Kaiserstraße, spielt das Stück auf einer Art „Pawlatschen“, mit wirklicher Ausstattung gibt man sich nicht ab, alles konzentriert sich auf die Figuren. Gerhard Werdeker schuf eine jener Inszenierungen, die ein Werk aus Respekt vor dem Autor gewissermaßen „vom Blatt“ spielen lassen, wobei die Männerwelt (Raimund RRemi Brandner, Mario Klein, Max Kolodej, Max Konrad, Gunter Matzka) vielleicht etwas weniger lautstark und weniger polternd, dafür mit etwas Präzision mehr erreicht hätte. Der „Freifrau von Stetten“ (Brigitte West) hätte man eine Spur mehr Eleganz gewünscht. Veronika Petrovic steht fest und entschlossen auf der Bühne: Die einzige junge Frau in Horvaths Figurenkosmos, die sich nicht unterkriegen lässt…
Die Aufführung war auch in der Repertoirevorstellung rappelvoll, das Publikum gepackt. Und mit größtem Gewinn liest man beim Nachhausefahren in der Straßenbahn das Programmheft.
Renate Wagner