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WIEN/ Semperdepot/ Neue Oper Wien: BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER. Derniere

22.09.2013 | KRITIKEN, Oper

Neue Oper Wien im Atelierhaus der bildenden Künste Wien (Semperdepot): Šimon Voseček BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER 22.9.2013

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Foto: Armin Bardel

Die Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei 1948 ließ in Max Frisch den Biedermann-Stoff mit den Jahren reifen, bis es als Theaterstück (noch ohne Nachspiel) am 29. März 1958 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde. Noch am 28. September 1958 folgte dann die Fassung mit Nachspiel als deutsche Erstaufführung an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main. Die Brandstifter waren für Frisch ursprüngliche eine Metapher für Kommunisten. Später distanzierte er sich von dieser einengenden Sichtweise.

Ich selber kann mich noch an eine legendäre Aufführung am Burgtheater 1978 erinnern, wo das Stück mit dem Lustspiel in einem Aufzug „Die Juden“ von Lessing kombiniert wurde. Mit von der Partie waren damals Heinz Reincke, Hannes Siegl, Frank Hoffmann, Hannes Obonya, Heinrich Schweiger, Christine Zimmermann und Lotte Ledl.

Wie kommt nun aber der 1978 in der damaligen Tschechoslowakei in Prag geborene Komponist Šimon Voseček auf diesen Stoff. In einem Interview beantwortete der Komponist diese Frage damit, dass Frisch‘ Lehrstück ohne Lehre auf den tschechischen Spielplänen nicht aufscheine. Er selber wurde durch seinen Gatten auf das Stück aufmerksam, war sofort begeistert und wunderte sich nur darüber, dass es bislang noch nicht vertont worden war.

Den Personenkanon des Theaterstücks reduzierte der Komponist, der das Libretto selber verfasste, indem er die Figuren der Witwe Knechtling, die in Szene 4 und 5 in Biedermanns Haus ist, während der gesamten Zeit jedoch kein Wort spricht, sowie des dritten Brandstifters, des Akademikers Dr.phil, strich. Das führt zu einer noch stärkeren Konzentration und Verdichtung des Geschehens. Zeitgleich war damals George W. Bush. jun. US-amerikanischer Präsident und der Vergleich mit einem „biederen Weltbrandstifter“ ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen.

Die spannungsgeladene Musik Vosečeks unterstreicht dabei den Text von Frisch. Eine Violine, drei Violoncelli, drei Bassklarinetten, drei Posaunen, Tuba und Schlagwerk stellen an sich schon eine ungewöhnliche Orchesterbesetzung dar. Manchmal wirkt die Musik dann auch romantisch und in den Zwischenspielen entfalten sich geballte Ladungen an Streicherclustern im Zusammenspiel mit Bläsern. Auf eine musikalische Umsetzung der Explosion und des nachfolgenden Brandes hat der Komponist ebenfalls bewusst verzichtet, weil für ihn (wie auch für den Zuschauer!) die Atmosphäre der lähmenden Angst viel spannender wirkte.

Im Jahre 2008 hatte der Komponist für seine Oper „Biedermann und die Brandstifter“ den Förderungspreis der Republik Österreich erhalten. Kuriosum an Rande: Eine allgemeine Arbeitserlaubnis erhielten Tschechen, obwohl das Land am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten war, damals in Österreich keine, die Tätigkeit des Komponierens fiel also offenbar nicht unter den Begriff „Arbeit“.

Der Leiter der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra, saß damals in der Jury der Förderpreisvergabe und bewies einen ausgezeichneten Instinkt für pralles Musiktheater vom Feinsten. Voseček überarbeitete seine Partitur noch einmal und das respektable Ergebnis hinterließ einen gewaltigen Eindruck bei den Besuchern der Dernière.

 In der Mitte der Bühne hat die 1986 in Baden bei Wien geborene Dominique Wiesbauer das (spieß)bürgerliche Wohnzimmer von Gottlieb und Babette Biedermann mit einem gemütlichen Sofa und einem Tisch mit Stühlen sowie einem riesigen Kamin im Hintergrund eingerichtet. Mit einer Leiter gelangt man dann auf den auf der rechten Seite befindlichen Dachboden, der später als Lagerplatz für die Benzinfässer der Brandstifter dienen wird. In diesem Ambiente treten die Künstler in rollengerechten Kostümen von Nele Ellegiers auf.

 Die 1988 in Paris geborene Regisseurin Béatrice Lachaussée spielt mit dem blanken Entsetzen des Publikums über so viel Naivität der Biedermanns und hält uns, dem Betrachter, geradezu einen Spiegel in bester Brecht ‘scher Manier vor. Wir glotzen dennoch weiter romantisch und fragen dabei insgeheim unser Gewissen, ob wir anstelle der Biedermanns nicht ähnlich handeln würden?

 Und das gesamte Bühnengeschehen wird von drei Feuerwehrleuten ähnlich dem Chor in der griechischen Tragödie beredt kommentiert. Auch hier vermischt die Regisseurin gekonnt das Grauen der bevorstehenden Katastrophe mit der Art und Weise, wie sie angekündigt wird. Während bei Frisch die Geisterszene mit den Worten Biedermann – Jedermann eine Persiflage Hugo von Hofmannsthals einnimmt, erweitert Voseček diese Szene dadurch, dass er den Brandstifter Josef Schmitz das Motiv des Komturs singen lässt. Großartig!

Stephen Chaundy war dieser wenig sympathische Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann, in dem wir, das Publikum, uns erkennen konnten. Er verfügt über einen Tenor, mit dem er auch die streckenweise sehr hoch gelegenen Lagen der Partitur mühelos erreichen konnte.

Die 1985 geborene Polin Barbara Zamek-Gliszczynska war seine spleenige Gattin mit Neigung zu hysterischen Anfällen. Eine richtige Zicke. Die äußerst höflichen Brandstifter Tomasz Piętak als durchtrainierter ehemaliger Ringer Josef Schmitz und Till von Orlowsky als ehemaliger Oberkellner Wilhelm Eisenring, geschminkt wie der traurige und dadurch Mitleid heischende Pierrot kündigen offen und ehrlich die Katastrophe an, die ihn keiner glauben will.

Das bemitleidenswerte Dienstmädchen wurde von der aus Waidhofen/Thaya stammenden Katharina Tschakert mitreißend dargeboten. Gesanglich wie darstellerisch köstlich anzuschauen war der Chor der Feuerwehrmänner Harald Wurmsdobler, der auch als Polizist auftrat, sowie Christian Kotsis und Frédéric Pfalzgraf.

Am Pult des amadeus ensembles-wien agierte Walter Kobéra mit Verve, denn es galt ja auch mit zu helfen, diesem Werk, für das er sich als Juror einst eingesetzt hatte, zu einer glanzvollen Aufführung zu verhelfen.

Die Dernière wurde dankbar bejubelt. Man war sich einig, einer Sternstunde zeitgenössischen Musiktheaters beigewohnt zu haben.

Wie wäre es mit Max Frisch‘ Drama „Andorra“, das meines Wissens ebenfalls noch nie vertont wurde, als nächsten Opernstoff, Herr Voseček? Allerdings bedarf es hier zur Realisierung sicherlich eines viel größeren Orchesters, zumal das Personal von Andorra 12 Sprechrollen beinhaltet. Mäzene aller Länder unterstützt ein solches Projekt, damit wir, das Publikum, dankbar einem neuen Werk zeitgenössischen Musiktheaters beiwohnen dürfen!

Harald Lacina

 

 

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