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WIEN / Scalarama: DER STREIT

15.02.2024 | KRITIKEN, Theater

WIEN / Scalarama (Kellergeschoß der Scala): 
DER STREIT von Pierre Carlet de Marivaux
Premiere: 15. Februar 2024 

Das 18. Jahrhundert war ein experimentierfreudiges Zeitalter, vor allem, wenn es um den Menschen selbst ging. So schickte Voltaire 1776 den Naivling Candide um die Welt, um ihm zu zeigen, wie es dort wirklich zugeht. So ließ Choderlos de Laclos in den „Gefährlichen Liebschaften“ die Zyniker auf die Unschuldigen los, die es zu verderben galt. Ähnliches hatte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts schon Pierre Carlet de Marivaux mehrfach versucht. „Das Spiel von Liebe und Zufall“ (1730) zeigt das herzzerreißende Experiment am offenen Herzen und die Verzweiflung, die es auslösen kann. Nahezu theoretisch behandelte der Dichter das Thema 1744 in dem bekannten Einakter „Der Streit“. Die Scala bittet dazu in ihren nun oft bespielten Kellerraum, das Scalarama, und stellt das Stück zur Diskussion.

Schon damals war Autoren bewusst, dass das Theater mehr kann als das Leben. Der Fall Kaspar Hauser, dass ein Mensch ohne menschlichen Kontakt aufwachsen konnte, ereignete sich erst ein Jahrhundert später. Aber Marivaux dachte sich aus, dass ein Fürst vier junge Menschen ohne jeglichen Kontakt zu einer Umwelt (außer ihren beiden Betreuern, im Original ein schwarzhäutiges Dienerpaar) aufwachsen lässt. Er wollte zusehen, wie sie sich verhalten, wenn sie ins Leben treten und die Geschlechter auf einander losgelassen werden.
Nun stellt sich schnell heraus – die Frau ist unendlich eitel und gefallsüchtig, der Mann willenlos verführbar. Treffen zwei Frauen auf einander, herrscht sofort Zickenkrieg, während zwei Männer miteinander nicht nur raufen, sondern auch in den Buddy-Modus verfallen könnten. Wenn die Frauen sich allerdings einbilden, alle Männer verführen zu müssen und wüstes Chaos ausbricht, beendet der Fürst das Ganze. Mißglückt, weg damit.

scalarama der streit eine untersuchung am offenen herzen 0.jpg v.jpg v~1 Foto: Scala

Der Mensch als Laborratte. Der Mensch, der sich (denken wir nur an die Fernsehsendungen, wo sie es gerne tun) entblößt. Gewissermaßen heutig. Genau so wollten es Vanja und Peter Fuchs, gemeinsam für Fassung, Regie & Raum zuständig (sie haben zwei Figuren gestrichen, die nicht abgehen) sehen. Mehr noch. Sie dachten futuristisch. Die vier jungen Leute stehen nackt (Nacktbodies) in Glasröhren, möglicherweise in irgendeiner Flüssigkeit, wie man es in Science-fiction-Filmen oft gesehen hat, bevor sie herauspurzeln. Ihre Diener sind Wächter, die aus dem „Krieg der Sterne“ stammen könnten (und sich erst ganz am Ende als die einzigen Menschen entpuppen, die dieses Ausdrucks würdig wären). Ein Rahmen mit heute vertrauten Elementen, , möglicherweise um ein junges Publikum anzuziehen.

Wenn die vier jungen Leute (Viktoria Hillisch, Stanislaus Dick, Teresa Renner und Clemens Fröschl, wobei Erstgenannte die größte Rolle hat) zum „Leben“ erweckt werden, agieren sie laut und stürmisch, was verständlich ist – junge Menschen entdecken sich selbst. Allerdings geht es die nächste Stunde in genau derselben Lautstärke, in genau demselben überzogenen Tempo weiter, was die Sache schnell einförmig macht, ungeachtet dessen, dass sich ja eine deutliche Entwicklung abzeichnet. Der Abend bleibt immer gleich, wo er jede Menge Differenzierungen in die Stimmungsschwankungen einbauen müsste…

Anselm Lipgens und ldiko Babos sind in der Rahmenhandlung als der Herzog und seine Kontrahentin zugegen, von Anaïs Marie Golder und Adrian Stowasser sieht man kaum wenige Minuten lang ihre Gesichter, aber die sind sympathisch. Was man von dem Rest der Figuren, von Marivaux‘ Gnaden oder Ungnaden, nicht behaupten kann.

Am Ende ist das Experiment Mensch fehlgeschlagen. Lohnt sich an den vom Dichter ausgewählten Beispielen nicht. Das Ganze ist mehr bitter als heiter. Und macht ob seines Wahrheitsgehalts nachdenklich.

Renate Wagner

 

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