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WIEN / Scalarama; BLACKBIRD

27.11.2023 | KRITIKEN, Theater
©bettina frenzel

Fotos; © bettina frenzel

WIEN / Scala im Kellerraum Scalarama; 
BLACKBIRD von David Harrower
Premiere: 26. November 2023 

In den neunziger Jahren bereicherten die Briten das aktuelle Theater um zwei Dramatiker von ausgesuchter Intensität und Grausamkeit: David Harrower und Sarah Kane. Doch es waren nur grelle Sternschnuppen – Sarah Kane beging Selbstmord, David Harrower zog sich nach wenigen Jahren zurück. Neben „Messer in Hennen“ war „Blackbird“ sein erfolgreichstes Stück, das in Wien schon zweimal gespielt wurde. Dann geriet der Autor in Vergessenheit.

Nun hat die Scala das „Blackbird“ wieder hervorgeholt – vielleicht, um es aus der Distanz von fast zwei Jahrzehnten neu zu überprüfen, wahrscheinlicher aber, weil das Thema durch aktuelle Ereignisse wieder in den Fokus gerückt ist: Kindesmißbrauch…

Harrower allerdings behandelt die Problematik anhand von Una und Ray nicht nur aus der allgemeinen Perspektive des „dirty old Man“ und des armen Opfers. Wenn Una nach 13 Jahren bei dem Mann auftaucht, mit dem sie als Zwölfjährige geschlafen hat, was durch die gesellschaftlichen Folgen beider Leben schwer beschädigt hat, dann entfaltet sich schrittweise durchaus eine Lolita-Geschichte, einstige gegenseitige Faszination, die dann auch durch unglückliche Umstände aus dem Ruder lief (und natürlich nie hätte gut gehen können). Die junge Frau ist zweifellos auf dem Rachefeldzug, sucht aber auch nach dem ehemaligen Gefühl.

Und weil Harrower einer der gnadenlosen Briten ist, eskaliert die Situation in körperliche Aggression, nimmt am Ende noch eine rätselhafte Wendung durch das Auftreten einer weiteren Person – und man zweifelt eigentlich nicht daran, dass diese emotional so aufgekochte Situation  vermutlich in Mord und Todschlag enden wird, da die versuchte Beischlaf-Erlösung nicht funktioniert hat…

Direktor Bruno Max hat unter seiner „Scala“ einen weiteren Raum geschaffen – man steigt in den Keller zur „Scalarama“ hinab, wo nun dieses ökonomische 100-Minuten-Stück stark über die Bühne rast. Regisseur Anselm Lipgens setzt von Anfang an auf Tempo 100 – kurz nur währt für denjenigen, der das Stück nicht kennt, die Spannung, was diese Uma von dem älteren Mann will, der da in einer offenbar schäbigen Firma einen schäbigen Job hat. Dann wird klar, was geschehen ist, und es wird in allen Details aufgeblättert. Das ist verhältnismäßig leicht anhand der exzellenten Schauspieler, schwieriger ist es, am Ende die körperlichen Aktionen – Raufereien, Verletzungen, Zerlegung der vollgemüllten Bühne – glaubhaft werden zu lassen: Da hat das Kino dem Theater doch einiges voraus.

©bettina frenzel

©bettina frenzel

Sam Madwar, der auch für den Bühnenraum zuständig ist, spielt von der ersten Sekunde an den ertappten Mann, der sich in abwehrender Hochspannung befindet, weil er sehr wohl ahnt, dass das Leben, das er sich nach dem Gefängnis aufgebaut hat, hier zerstört werden wird – abgesehen von den Gefühlen, die wieder auftauchen.

Gleich stark ist Soi Schüssler, die nicht nur dauernde Provokation ausstrahlt, sondern in einer riesigen „Arie“ die Gefühlswelt einer Zwölfjährigen darbieten muss. Sie tut es mit virtuoser Meisterschaft, ohne künstlich zu wirken.

In einem kurzen Auftritt sorgt Yara Winter für jene Verwirrung, die der Autor anstrebt und nicht auflöst –  ein junges Mädchen, das alles und dessen Gegenteil für den alten Mann sein kann – war die zwölfjährige Una, die ihn so verlockt hat, eine einmalige „Liebesgeschichte“ oder ist er doch der klassische Täter, der sich nur von Halbwüchsigen angezogen fühlt?

Das Ende bleibt, wie gesagt, offen, aber gut kann das sicherlich nicht ausgehen. Das Publikum war von der Gnadenlosigkeit von Stück und Präsentation spürbar beeindruckt.

Renate Wagner  

 

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