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WIEN / Scala: WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?

George in der Hölle

29.10.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? Von Edward Albee
Premiere: 25. Oktober 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 28. Oktober 2025  

George in der Hölle

Wer hat Angst vor Elizabeth Taylor und Richard Burton? Der dürfte Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf!“ nicht anrühren, denn deren Leistungen in der Verfilmung des Stücks von 1966 sind zu Recht legendär.  Aber welch ein Verlust wäre das! Abgesehen davon, dass es für Theaterhäuser nichts Besseres gibt als Stücke mit einem Bühnenbild und wenigen Darstellern, auf die in diesem Fall vier Traumrollen warten, überrascht der „alte Albee“, der nicht weniger als 63 Jahre auf dem Buckel hat (1962 uraufgeführt, da war keiner der Darsteller, die heute hier auf den Brettern stehen, noch geboren), mit unverwüstlicher Frische.

Denn da es geht es – mit schier unglaublicher seelischer Brutalität, um das gleich einmal voraus zu schicken – um zerstörerische, geradezu infernalische menschliche Beziehungen. Martha und George bereiten einander die Hölle – man weiß, als normaler Mensch mit normalem Temperament zwar nicht, warum, aber man kann gar nicht anders, als grenzenlos fasziniert zuzusehen.

Das ist möglich, weil Regisseur Rüdiger Hentzschel in der Scala eine bemerkenswerte Inszenierung gelungen ist. Das beginnt schon mit dem Bühnenbild, das er sich selbst geschaffen hat und das mit nur dem Nötigsten ausstaffiert ist (Sofa, Sessel, eine Treppe in der Mitte, die Bar im Hintergrund für den schier unerschöpflichen Nachschub von Drinks, der eigentlich alle Personen schwer alkoholvergiftet zurücklassen müsste) – und all das in Blutrot. Und durch Pfeiler ringsum den Realismus enthoben, fast an eine Schlachterei erinnernd… und hier gehen die Menschen ja nun tatsächlich mit dem Schlachtermesser der Worte auf einander los.

Martha und George sine ein Ehepaar an irgendeiner, nicht allzu großen amerikanischen Universität, deren Rektor Marthas Vater ist. Eine Position, die sie schamlos zur Unterdrückung und Demütigung des Gatten benützt, der es offenbar in Jahrzehnten nicht geschafft hat, mehr als ein Professor für Geschichte zu werden. George allerdings hat es mit List und Tücke, mit Haß im Herzen, mit dem er den Rest von einstiger Liebe für Martha unterdrückt, geschafft, ihre Verletzungen zu parieren. Das Ergebnis ist ein Schlagabtausch, der bei aller Grausamkeit auch etwas Lustvolles für beide hat.

Wenn dann noch ein ihnen unbekanntes junges Paar nächtlich gezwungenermaßen zu Besuch kommt (Martha ist schließlich die Tochter des Rektors, ein neuer Biologiedozent muss an Netzwerken arbeiten – selbst, wenn es darauf hinaus läuft, mit einer nicht mehr ganz jungen Dame den geforderten Beischlaf zu erbringen, ungeachtet der eigenen Gattin im Nebenzimmer), dann erweitert sich das Spielfeld, da werden auch die Neuankömmlinge zu Opfern der beiden alten Vernichtungs-Schlachtrösser.

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Albee hat jede der vier Figuren genau charakterisiert und ausbalanciert, dennoch liegt deren Wertigkeit bei den Darstellern. In der Scala ist zweifellos Wolfgang Lesky (unvergessen sein Nazi in dem Stück „Good“ vor eineinhalb Jahren in diesem Haus), der das Schicksal von George mit einer Kraft und Intensität durchficht, die stellenweise atemberaubend ist. Seine stets neuen Abwehr- und Angriffsvolten, halb spielerisch, halb bös verkrampft,  scheinen nicht nur Martha, sondern auch den Nerven des Publikums zu gelten.

Monica Anna Cammerlander kann seiner nervösen Energie nicht auf Augenhöhe begegnen, so sehr sie Marthas Ausbrüche auch forciert. Am stärksten ist sie in den verletzlichen Momenten.

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Das „junge“ Paar geht in dieser Inszenierung nicht unter, wie es oft schon passiert ist, wobei Albee dafür sorgt, dass die vorgespielte Harmonie der beiden in kurzer Zeit entlarvt wird und auch der ehrgeizige, berechnende junge Mann (Benjamin Spindelberg) und die unsichere, aber auch verwöhnt-zickige junge Frau (Fanny Alma Fuhs) wie seelisch nackt vor den Zuschauern erstehen.

Da waltet keine Gnade, da herrscht die Hölle, und George ist darin der König. Sehr viel verdienter Beifall eines bei der zweiten Vorstellung vollen Hauses.

Renate Wagner

 

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