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WIEN / Scala: UNTEN DURCH

So könnte es gewesen sein…

21.05.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: © Bettina Frenzel

WIEN / Scala: 
UNTEN DURCH
Eine Geschichte vom Anfang des Friedens
von HEINZ R. UNGER
Premiere: 17. Mai 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung an 20. Mai 2025

So könnte es gewesen sein…

Wer zu Kriegsende einigermaßen erwachsen war, ist heute, 80 Jahre danach, nicht mehr am Leben. Dennoch besteht das Bedürfnis, das, was damals geschah, an Menschenschicksalen erzählt zu bekommen. Und genau das tat Heinz R. Unger (1938-2016) mit „Unten durch“ (einst 1980 im Wiener Schauspielhaus uraufgeführt),

Szenen vom Kriegsende in Wien, die man als „Volksstück“ mindestens in eine Reihe mit dem stellen kann, was etwa Turrini an modern „Volksstückhaftem“ geschaffen hat. Hier wird  ganz dicht eine Situation erfasst, werden Menschen beschrieben (und dennoch gemäß ihrer „Aussage“ eingesetzt), da kann das Publikum gleicherweise ins Geschehen einsteigen, wie sich auch von ihm kritisch betrachtend distanzieren.

In der Scala, wo viele Produktionen nachdrücklich davon profitieren, dass Bruno Max auf seine kleine Bühne eine Drehbühne einbauen ließ, kann man nun eineinhalb Stunden mit den Bewohnern eines Wiener Mietshauses buchstäblich „in Bewegung“ sein, wenn diese vor den herannahenden Russen fliehen wollen  – durch die Keller, die Kanäle und die Katakomben Wiens, während die Stadt mit Angriffen überzogen wird. Es geht ums Überleben – und nachher ums Weiterwursteln und Wendehalsigkeit.

Zu diesen Flüchtenden, die vom Blockwart, der sich immer noch verantwortlich fühlt, getrieben werden, gesellt sich auch ein Jude, der acht Jahre lang hier versteckt gelebt hat, offenbar ohne dass der Besitzer der Wohnung etwas gemerkt hat. Dieser Herr Tannenbaum (Thomas Marchart) ist nun nicht der verschreckte arme  Jude, dankbar für seine Rettung, sondern ein Mann voll Zorn, getrieben von dem Wunsch, möglichst bald mit niemandem mehr etwas zu tun haben zu wollen, auch nicht mit Fräulein Elfi (Fanny Alma Fuhs), die offenbar einiges zu seiner Rettung beigetragen hat.

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Die Wohnung, wo Tannenbaum unerkannter „Untermieter“ war, gehörte einem Hofrat (glänzend Jörg Stelling), der eingestehen  muss, dass er sich zwecks ungehinderter Beamten-Karriere von seiner jüdischen Frau scheiden ließ. Auf der anderen Seite der gesellschaftlichen Skala stehen die Frauen, die schwangere Hausmeisterin (Samantha Steppan) und die politisch-linksbewusste Schneiderin (Christina Saginth), die schon 1934 gewusst hat, wohin das alles führen wird – ebenso wie sie weiß, dass alle so schnell wie möglich über die Zeit, die sie an diesem April-Tag hinter sich lassen, den Mantel des Vergessens breiten wollen.

Die lautstarken Wiener Typen sind mit Georg Kusztrich und Philipp Stix vertreten, die sich geschmeidig  den jeweiligen Verhältnissen anpassen, weiters begegnet man in einigen Rollen David Stöckl. Michael Reiter und Eric Llingens. Wenn die unglückselige Gruppe, die sich mehr als einmal ideologisch angeschnauzt hat, endlich einen Kanaldeckel öffnet, sind schon die Russen in Wien…

Die dichte, oft laute, immer schonungslos direkte Aufführung von Marcus Ganser findet in einem optimalen Bühnenbild statt, das der Regisseur selbst geschaffen hat. Es ist die Atmosphäre des „Dritten Manns“, die hier feucht und schmutzig beschworen wird. Der Abend atmet Authentizität… Ja, denkt man, so könnte es gewesen sein.

Renate Wagner

 

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