Fotos: Theater Scala
WIEN / Scala:
SEIN ODER NICHTSEIN
Komödie von Nick Whitby, nach dem gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch (Drehbuch: Edwin Justus Mayer und Melchior Lengyel)
Premiere: 14. Mai 2022,
besucht wurde die dritte Vorstellung am 18. Mai 2022
Es mag lange her sein, dass man den Film „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch gesehen hat, aber die Erinnerung täuscht sicher nicht. Das war ein toller Seiltanz zwischen hektischer Komödie und lebensgefährlicher Politik, das war Parodie auf Theater und eitle Schauspieler und mörderische Nazi-Satire, großes Kino, das 1942 nicht nur Filmgeschichte gemacht, sondern auch Zeitgeschichte reflektiert hat.
In Wien wurde schon einmal, vor 19 Jahren, im April 2003. von Michael Schottenberg der Versuch unternommen, das Drehbuch als Stück (damals unter dem Titel „Noch ist Polen nicht verloren“) auf eine multifunktionale Bühne des Metropol zu stellen. Damals war es eine tolle Show, viel zu lachen, viel Gänsehauteffekt.
Nun ist „Sein oder Nichtsein“ im Theater Scala gelandet, und es zeigt sich, dass die Lubitsch-Qualität, hier „eine Handbreit über dem Boden“ zu agieren (wie Max Reinhardt es einst gefordert hat), nicht ganz zu erfüllen war. Marcus Ganser hat sich, wie so gut wie immer, ein praktisches, bewegliches, wenn auch diesmal nicht sehr inspiriertes Bühnenbild gebaut. Als Regisseur macht er von Anfang an den Fehler, zu dick auftragen zu lassen, viel zu laut und zu grobschlächtig zu sein. Gewiß, Schauspieler als über die Maßen eitel und menschlich eher dümmlich darzustellen, ist alte Tradition, aber hier will es die Story, dass sie sich letztendlich in ihrer Verzweiflung ziemlich intelligent aus einer Todesfalle befreien. Und wenn die Nazis durchwegs nur ohrenbetäubend brüllende Trottel sind – wie gefährlich kommen sie einem da vor?
Sicher, man hat es mit einer wirkungsvollen Komödie zu tun, aber der Feinschliff, der nun einmal dazu gehört, fehlt fast gänzlich. Immerhin leisten 13 Darsteller meist Gutes, Sophie Prusa ist der Inbegriff einer Femme fatale, die Aussehen und Köpfchen auf das Beste vereint, und Wolfgang Lesky als ihr über-eitler Gatte wächst zu wahrer Größe, wenn er in die Rolle eines Nazi-Spions schlüpft. Dieser Professor Siletsky ist übrigens auch als Original bei Mathias Kahler-Polagnoli bestens aufgehoben.
Im Theater darf Bernie Feit mit der bei ihm üblichen Überzeugungskraft den kleinen jüdischen Nebendarsteller geben, der unbedingt einmal den Shylock spielen möchte, Leopold Selinger assistiert, Christoph Prückner verzweifelt als Regisseur sehr glaubhaft über seine Truppe, und Claudia Marold holt den „guten Geist“ des Theaters, die Frau für alles, direkt aus dem Leben, solche Damen gibt es glücklicherweise.
Weniger Glück haben die Nazi-Darsteller, wobei man sich vorstellen könnte, dass Robert Notsch überzeugend sein könnte, müsste er weniger brüllen und dürfte etwas differenzierter arbeiten, zum Beispiel neben Dummheit auch ehrliche Gefährlichkeit zeigen.
Und da ist noch der Aspekt des Stücks, der heute plötzlich Unbehagen erzeugt – denn so, wie Polen 1939 von den Nationalsozialisten schlicht und einfach überfallen wurde, so geht es heute den Ukrainern, und es gibt kurze Augenblicke der Beklemmung. Aber da mag Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem früheren Leben Schauspieler gewesen sein, und Wladimir Putin, wenn sich denn „sein“ Chaplin fände, sich genau so gut für Parodie eignen wie einst Hitler – dass man über diesen heutigen Krieg lachen kann, ist schwer vorstellbar.
Und eine Bemerkung noch: Wenn zu Ehren Hitlers die „Götterdämmerung“ gespielt wird, darf einfach nicht der Walkürenritt ertönen, das zeigt von schreiender Wagner-Unkenntnis…
Renate Wagner