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WIEN / Scala: P.U.N.T.S.

15.12.2022 | KRITIKEN, Theater

©bettina frenzel

WIEN / Scala:
 P.U.N.T.S. – Ein sauberes Geschäft
von Sarah Page
Premiere: 8. Dezember 2022,
besucht wurde die Vorstellung am 14. Dezember 2022 

Gar so „mutig“, wie es den Anschein hat, ist ein Stück wie :  P.U.N.T.S. von Sarah Page natürlich nicht. Denn wenn man „heikle“ Themen aufgreift, kann man sich auf jeden Fall der Gunst der Kritik sicher sein, und jener Teil des Publikums, der aufgeschlossen ist (oder sich dafür hält), wird nicht zurück scheuen – etwa vor dem Tabu „Sex für Behinderte“.

Sicher, eigentlich will man es nicht wissen, aber dann ist es ohnedies nicht „so schlimm“, glücklicherweise nicht peinlich und auf andere Art, als man es erwartet, dramatisch. Und das ist dann die Stärke des Stücks der jungen Britin (jung nach ihren Fotos im Internet, ein Geburtsdatum ist nicht aufzufinden).

Denn es geht nicht nur darum, dass das bestens situierte Paar Alastair und Antonia beschließt, ihren 25jährigen, ohnedies nur leicht behinderten Sohn endlich in die Welt des Sex einzuführen und zu diesem Zweck, nach langer Recherche, eine junge „Sexarbeiterin“ engagiert, die das schon machen wird… Sie macht es tatsächlich, aber nicht der pummelige und liebenswert tapsige Jack (Clemens Fröschl) ist die eigentliche Hauptfigur des Geschehens. Seine sexuelle Erweckung tritt bald in den Hintergrund.

Vielmehr geht es um „Kitty“, die eigentlich Julia heißt, und deren Schicksal die Nöte des Proletariats in die bürgerlich-saturierte Welt schleudert. Mit 19 bekam sie einen Sohn, den sie nach eigenem Willen allein aufzieht und der ihr Ein und Alles ist. Bevor sie einmal den edlen Beruf einer Altenpflegerin übernehmen will, muss sie das Leben für sich und ihr sechsjähriges Kind erst einmal konsolidieren – und da gibt es keine sicherere Möglichkeit für schnelles und gutes Geld, als sich im Internet als Prostituierte zu verdingen. Was nicht heißt, dass sie kalt und zynisch geworden ist – gerade, weil sie mit Jack so zart umgeht, tut sie ihm so gut.

Das wäre für ein abendfüllendes Theaterstück (zwei Stunden ohne Pause) allerdings zu wenig, also muss es zu dramatischen Szenen kommen, wo Kitty / Julia meint, ihre Existenz und ihr Kind zu verlieren, und da tragt die an sich optisch und handwerklich perfekte Darstellerin Anna Sophie Krenn gelegentlich zu dick auf – weniger Geschrei kann wirkungsvoller sein als zu viel. Aber sie formt ein Schicksal, zeigt die arme Haut, die um alles kämpft, was für sie wichtig ist, und die gleichzeitig versucht, eine selbstbewusste Frau zu sein, die sich für ihre Lebensentscheidungen nicht verachten lässt… Freilich, das Hin und Her, ob sie nun Jacks Vater verführen will oder nicht – das ist schon der Autorin nicht recht gelungen, also kann man es auch nicht hundertprozentig überzeugend spielen.

Jacks Eltern, der reiche Anwalt und die selbstbewusste Hausfrau, Frauenrechtlerin und über die Maßen besitzergreifende Mutter, werden im Grunde mit ähnlicher Sorgfalt gezeichnet, in jener Ambivalenz, die richtige Menschen nun einmal auszeichnet. So ist Alastair (Wolfgang Lesky) ein kluger, im Grunde sanfter, ungemein sozialer Mensch – und doch hört man immer wieder heraus, um wie viel leichter das Leben wäre, wäre man nicht mit dem geliebten behinderten Sohn belastet, für den er alles tut. Wenn auch nicht mit der rabiaten Hingabe, die Antonia (Marion Rottenhofer) zeigt, geradezu verbissen in der Überzeugung, dass nur sie weiß, was für Jack gut ist, und in Eifersucht entbrannt, sobald sie erkennen muss, dass die „Nutte“ ihrem Sohn etwas bedeutet. Das Streitgespräch der beiden Frauen ist ein eloquenter Kampf der unterschiedlichen Positionen, und keine will nachgeben…

Und doch haben diese perfekten britischen  Eltern eine Seite, mit der die Autorin wirklich überrascht – die beiden mögen nicht nur Sex miteinander, sondern auch Rollenspiele, und das erleichtert dann gelegentlich die permanente Spannung, unter der das Stück steht.

Für Bruno Max war es keine leichte Aufgabe, die vielen starken Stimmungswandel des Abends auszutarieren, aber da er vier außerordentlich passende Darsteller hatte, funktionierte das Stück. Dass die kleine Bühne eine Drehbühne hat, kam Max als Bühnenbildner (unterstützt von Robert Notsch) zugute,  und Sigrid Dreger kleidete die Darsteller in jeder Situation passend ein (bis zur sexy Unterwäsche der Sexarbeitern).

Viel Applaus für einen Abend, der letztlich fast eine bürgerliche Tragödie wurde und jede mögliche Peinlichkeit geschickt umschiffte.

Renate Wagner

 

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