Fotos: © Bettina Frenzel
WIEN / Theater Scala:
MARATHON – NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS
Nach dem Roman von Horace McCoy
Premiere: 22. März 2025
Totentanz als Entertainment
Seinen Platz in der amerikanischen Literatur hat der Autor Horace McCoy (1897–1955) mit dem Roman „They Shoot Horses, Don’t They?“ (1936) unverbrüchlich inne, weltberühmt wurde er 1969 durch die Verfilmung von Sydney Pollack mit Jane Fonda in der zentralen Rolle. Wenige haben die Tragödie der amerikanischen Depressionsjahre, die so viele Menschen in den Abgrund zogen, nachdrücklicher und auch gnadenloser beschrieben.
Hier geht es darum, wozu Menschen bereit waren, wenn man ihnen Mahlzeiten bot und am Ende mehr Geld winkte, als sie je verdienen hätten können, vorausgesetzt, sie hätten überhaupt Jobs gefunden. Die Tanzmarathons, die Menschen zum Gaudium eines zynischen Publikums vorführten, schienen eine Möglichkeit – dass sie bis zur Vernichtung von Leib und Seele führten, wird an so gut wie allen Schicksalen aufgezeigt.
Bruno Max hat den Roman nun für sein Theater Scala adaptiert, in Details anders, als man sie im Film in Erinnerung hat, aber mit stupender Überzeugungskraft. Dafür baute er gleich sein ganzes Theater um (Raum: Robbert Notsch) – nun sitzen die Zuschauer wie in einer Arena um die zentrale Tanzfläche, auf der sich alles abspielt. Angetrieben von einem Conferencier, der die menschlichen Schicksale schamlos als Entertainment auspresst und den Schweiß mit metaphorischem Flitter bestäubt (großartig: Alexander Rossi), angetrieben von einem Ringrichter, dem alles Menschliche fremd ist (Marius Lackenbucher), angeblich betreut von einem Arzt, der erst aufgibt, als er den Tod eines Tänzers leugnen soll (Raimund Brandner) und unter begeisterter Anteilnahme einer älteren reichen Dame im Publikum (die absolut herrliche Lotte Loebenstein), stehen zu Beginn mehrere Paare am Parkett (sie sollen dann nach und nach rausfliegen – wie bei den Dancing Stars…), an denen McCoy Variationen möglichen sozialen Elends aufzeigt.
Da ist (die Jane Fonda-Rolle) die arbeitslose Gloria, die meint, vielleicht wäre in Hollywood beim Film etwas zu erhoffen (Anna Sophie Krenn als die hemmungslose Verzweiflung), und der resignierte Robert, den es mit ähnlicher vager Hoffnung hierher verschlagen hat (von schöner Traurigkeit: Paul Barna). Und ja, man verrät nichts, jeder weiß es – am Ende erschießt Robert Gloria auf ihr Verlangen, denn wenn Pferde nicht mehr weiter können. beendet man ihr Elend ja auch… nur, dass er dann auch mit dem Leben dafür zahlt. Es könnte nicht tragischer kommen, als es McCoy seinen Figuren auferlegt hat.
Wer die geringsten Chancen sieht, peilt schon damals Hollywood an, die Traumfabrik, Anfang der dreißiger Jahre am Beginn des Tonfilmaufschwungs. Clarissa (im Film heißt sie Alice und trug Susannah York einige Preise ein) und Joe träumen voll Erregung von den künftigen Karrieren, sie erfolglos, er bekommt zumindest eine kleine Rolle. Wirklich tragisch, wie Eva-Christina Binder die hektische Bemühung und den unvermeidlichen Absturz spielt, während man bei Benjamin Spindelberg das Gefühl hat, er ist rücksichtslos genug, es vielleicht einmal zu schaffen…
Ruby (Teresa Renner) und James (Christopher Korkisch) lassen sich auf den Tanzmarathon ein, obwohl er für die Schwangere lebensgefährlich ist, aber wie sollen sie sich sost den Traum von der eigenen kleinen Tankstelle erfüllen? Mack (Robert Max Elsinger) ist blind und nimmt mit seiner Schwester Bess (Prisca Buchholtz) doch teil, in der Hoffnung, ihre arbeitslosen und wohl hungernden Eltern zu unterstützen. Es gibt auch seltsame Paare – der ältere Mann mit dem halben Kind im Schlapptau (Anaïs Golder und Michael Fischer), wofür dann die Handschellen klicken, der Ex-Soldat und seine überforderte Frau, die ausscheidet, während er das Turnier mit dem Leben bezahlt (.Stephanie-Christin Schneider und Mathias Kahler-Polagnoli).
Dieses Ensemble leistet Großartiges, nicht nur in der Charakteristik der Figuren, sondern auch in den von Bettina Soriat geleiteten Tanzszenen, die nie zur tollen Show werden, aber immer zum traurigen Totentanz. Zeitanalyse anhand von Menschenschicksalen. Hoffen wir inständig, dass ähnliches Elend nicht herankriecht. Sehr viel Applaus.
Renate Wagner