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WIEN / Scala: NUR EINE LAUS

06.06.2023 | KRITIKEN, Theater

©bettina frenzel

WIEN / Scala:
ONE FLEA SQUARE – NUR EINE LAUS von Naomi Wallace
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 3. Juni 2023,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 6. Juni 2023 

Da haben wir nun (so Gott will, müsste man hinzufügen) die Pandemie überstanden, da wird man im Theater Scala in das Jahr 1665 zurück geworfen, als in London die Pest wütete. Zweifellos ein Grund für die Dramaturgie des Hauses, „One Flea Spare – Nur eine Laus“ der amerikanischen Autorin Naomi Wallace anzusetzen. „Auch wenn es bereits 1995 geschrieben und seither weltweit viel gespielt wurde, ist es fast, als wäre das Stück eigens für unsere Gegenwart konzipiert worden“, heißt es von Seiten der Scala.

Ganz so ist es nicht, aber manches – vor allem am Beginn – kennt man: Die Hysterie, ob der Andere vielleicht „angesteckt“ ist und einen selbst in Gefahr bringen kann. Oder die Wut und Empörung, in „Quarantäne“ gesteckt zu werden, abgeschlossen von der Welt – in einem Raum, der One Flea Spare gerade Platz für einen Floh hätte…

Auch so schlimm wäre das nicht, das adelige Ehepaar Snelgrave ist zwar auf einen großen Raum seines Hauses (plus Küche)  reduziert und das Personal ist ihm weg gestorben, aber es wäre zum Aushalten, wenn nicht…

Wenn nicht ungebetene Gäste herein stolperten, ein offenbar desertierter Matrose, der nie wieder in die Marine seiner Majestät zurück will, und ein junges Mädchen, das sich als adelige Tochter ausgibt, aber eigentlich nur ein Dienstmädchen ist. Das Kleid konnte die der Toten stehlen, die Umgangsformen nicht… Und prompt  nagelt der Pestwächter, der seine schmutzigen Geschäfte mit den Eingeschlossenen macht, angesichts der verdächtigen Neuankömmlinge das Haus zu.

In der Folge hat man es dann allerdings nicht mit einem „Seuchen“-Stück zu tun, diese Problematik ist weitgehend an den Rand gerückt, sondern mit den klassischen „Eingeschlossenen“ des Theaters, und die Sartre’sche Erkenntnis, „Die Hölle sind die anderen“, funktioniert auch hier. Was genau die Autorin mit ihrem Stück will, das kommt allerdings nicht heraus.

Wenn der Hausherr mit ihm ausgelieferten Untergebenen boshaft-bösartige  „soziale Experimente“ anstellt (wie weit kann ich mit der Demütigung gehen?). wenn sich bei der frustrierten, am ganzen Körper verbrannten Hausfrau angesichts des Matrosen sexuelle Gelüste einstellen (die dann ziemlich peinlich exekutiert werden), wenn die kleine Schwindlerin skrupellos versucht, aus der Situation für sich das Beste herauszuholen, sind das keine sonderlich interessanten Entwicklungen. Man wundert sich, dass der Matrose – der einzige anständigste Mensch unter ihnen – so lange ruhig bleibt. Bis es dann doch zum Aufstand kommt… und natürlich keinem Happyend.

Gewiß, man kann sich darauf berufen, dass sogar die Comédie-Française das Stück im Repertoire hatte (und wann spielen die schon lebende Ausländer), aber das macht die ganze Sache nicht überzeugender. Sie findet in der Scala wieder einmal in einem Bühnenbild von Marcus Ganser statt, also entsprechend stimmig. Und Stephan Bruckmeier inszenierte mit einer Besetzung, von der man als so richtig „hauseigen“ nur Christina Saginth erkannte. Sie balancierte die heikle Rolle der älteren Frau zwischen Unterdrückung und zarten Befreiungsversuchen bemerkenswert.

Die andere Dame des Abends war Fanny Altenburger (die Stemberger-Tochter, wenn man nicht irrt). Der Regisseur hat ihr leider erlaubt, die Rolle immer wieder undifferenziert zu laut zu überzeichnen (übrigens  ist sie  jung genug, um weiter an ihrer Sprache zu arbeiten).

Interessant Hans-Jürgen Bertram als der Adelige, mutwillig, selbstherrlich  und ganz zweifellos doch ein Schwächling. Die übliche Studie eines üblen, zynischen Ausbeuters liefert Robert Stuc als Pestwächter. Und bemerkenswert der Ungar András Sosko als Matrose – einer, der überleben will, ohne sich allzu sehr die Hände schmutzig zu machen.

Dennoch bietet das Stück weder Identifikationsfiguren noch tiefere Einsichten. Man war im Theater schon mit interessanteren Leuten eingesperrt.

Renate Wagner

 

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