Fotos: Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
NETWORK
Satire von Lee Hall
Nach dem Film von Paddy Chayefsky
Premiere: 7, Juni 2024,
besucht wurde die Vorstellung vom 11. Juni 2024
Ja, ja, die Medien… einst und heute
Man sollte meinen, dass sich die Welt innerhalb eines halben Jahrhunderts grundlegend verändert. Aber es ist alter Wein aus neuen Schläuchen, den wir heute vorgesetzt bekommen – das zumindest macht die ungeheure Aktualität des „Network“-Abends im Theater Scala klar. Vor knapp einem halben Jahrhundert war dieser Film, worin der Meisterdramatiker und -Drehbuchautor Paddy Chayefsky mit der Fernseh- und Medienwelt abrechnete wie keiner zuvor, eine berechtigte Sensation. Peter Finch, Faye Dunaway und William Holden lieferten in der Regie von Sidney Lumet wahre Meisterleistungen, es gab vier „Oscars“, für die beiden Hauptdarsteller, das Drehbuch und eine Nebenrolle.
Viel später, 2017. machte Lee Hall (seines Zeichens auch Drehbuchautor) aus dem Film ein Theaterstück, das viel Erfolg hatte. Weil es zwar nicht leugnet, dass es im Jahr 1975 spielt, also vor nahezu fünfzig Jahren, aber ganz entschieden auf die Gegenwart abzielt. Nein, die Vergangenheit war nicht besser, sie war nur anders – übersichtlicher zum Beispiel, wenn es in den USA nur drei alles beherrschende Fernsehstationen gab. Damals konnte ein Moderator auch noch so richtig berühmt werden. Heute, wo jeder unter Hunderten von Sendern in aller Welt wählen kann und das Personal der am Bildschirm erscheinenden Gesichter viel zu schnell wechselt, als dass man sich die Leute wirklich einprägen könnte (eine Talk-Lady ist weg, die nächste kommt, wie hat die frühere nur geheißen?), heute ist – doch nicht alles anders.
Ließen sich früher Millionen Amerikaner von irgendwelchen TV-Stars alles Mögliche einreden, so sind es heute Nobodys, die als „Influencer“ berühmt werden und Hunderttausenden „Followern“ irgendwelchen Schwachsinn verkaufen…
„Network“ handelt von dem Moderator Howard Beale, dessen Quoten dermaßen in den Keller rasseln, dass er durch eine Sensation auf sich aufmerksam macht: Er kündet im Live-TV seinen Selbstmord an – und die Quoten rasen in die Höhe, wie sie es heute bei ähnlichen „Sensationen“ genau so täten. Das rettet den Job, und als man merkt, dass mehr und mehr Menschen vor den Fernsehapparaten hängen, je verrückter Howard Beale sich aufführt, je mehr unangenehme Wahrheiten (etwa über die Verblödungen der Menschen durch das Fernsehen) er hinaus schreit, je mehr er die Menschen zum brüllenden Widerstand aufruft, (den Begriff „Wutbürger“ kannte man damals noch nicht) ist Howard der Superstar. (Und wir denken daran, wie heute im Netz Menschen einander gezielt zu Haßaktionen aufputschen – und müssen wissen, dass es solche Manipulation immer gegeben hat.) Wenn Howard sich dann noch wie ein Sektenprediger gebärdet und sich seine Kritik für die Chefetage zu unverhohlen auch auf die Hand erstreckt, die ihn füttert… ja dann.
Und da sind auch noch die beiden anderen Hauptfiguren – nicht erst heute gibt es Frauen, die für ihre Karriere über Leichen gehen und auf alle menschlichen Bindungen verzichten, die noch skrupelloser als Männer agieren, ob sie ihre Konkurrenten aushebeln (auch wenn sie zufällig die Kurzzeit-Liebhaber sind), oder etwa das Kokettieren der TV-Produzentin Diana mit den Terroristen. Aber würde man bezweifeln, dass sich heute sofort ein Fernsehsender fände, der Hamas-Täter als vorsichtig behandelte Interview-Partner groß vor die Kamera brächte, wenn sie es nur könnten? Zu den beiden Hauptfiguren gibt es eine dritte, wobei Max Schumacher erkennen muss, dass er weder im Berufsleben noch im Privatleben mit Anstand und Prinzipien weiter kommt…
Um die Zentralfiguren gruppieren sich noch zahlreiche andere, so dass auf der Bühne der Scala am Ende 13 Protagonisten tätig waren, die teilweise noch mehrere Rollen verkörperten. Keine einfache (aber wohl gelöste) logistische Aufgabe für Regisseur Felix Metzner, der allerdings viel Hilfe von dem geschickten Drehbühnen-Bühnenbild von Direktor Bruno Max erhielt – drei Wände als Schauplätze, durch Hintergrundprojektionen blitzschnell zu verwandeln, gewissermaßen die Schnitt-Technik des Films nachahmend.
Für extreme Charaktere ist in der Scala gerne Alexander Rossi zuständig, der sich schrittweise in den Wahn des Howard Beale hinein tigerte. Die femme fatale war Eszter Hollósi anvertraut, und als der anständige Mensch machte Leopold Selinger die beste Figur.
Aus dem großen Ensemble konnten nur einige herausragen – Christina Saginth als die Ehefrau, die nicht betrogen werden will (für diese Mini-Szene bekam die Kollegin im Film den Nebenrollen-“Oscar“) und vor allem Simon Brader als der „Über-Chef“ des Konzerns. Er spricht davon, dass es in der (globalisierten) Gegenwart keine Nationen mehr gibt, sondern nur noch ein einziges gemeinsames Interesse, nämlich Geld als das „Schmiermittel“ dieser Welt, als alleiniger Faktor, der allerorten regiert. Auch das hat Paddy Chayefsky vor einem halben Jahrhundert schon gewusst…
Das Publikum erkannte das Heute, das im Gestern zu finden ist, und applaudierte heftig.
Renate Wagner