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WIEN / Scala: IN GOETHES HAND

Sarkastisch und liebevoll zugleich

13.06.2025 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Bettina Frenzel

WIEN / Scala: 
IN GOETHES HAND von Martin Walser
Premiere: 12. Juni 2025

Sarkastisch und liebevoll zugleich

Martin Walser (1927-2023) war ein großer Kenner und Liebhaber von Goethe als Person und seinem Werk. Er kannte genau das Problem jenes Johann Peter Eckermann, der sich mit seinen „Gesprächen mit Goethe“ nicht nur prominent in dessen Biographie, sondern wohl auch in die deutsche Literaturgeschichte hinein geschrieben hat. Ein Mann, der seine eigenen Ambitionen hintanstellte, um einem „Olympier“, den er anbetete, ja, dem er geradezu verfallen war, in den letzten Jahren von dessen Leben bei seinen Werk-Editionen selbstlos zu dienen. Einer, der Goethe hoffnungs- und widerstandslos erlegen ist.

Damit ihm das nicht auch geschehe, ist Martin Walser wohl sein Stück „In Goethes Hand“ mit einer Spur Sarkasmus angegangen, tat das aber zugleich so liebevoll, dass hier nicht nur ein unwiderstehliches Doppelporträt entstand, sondern die ganze Welt des späten Goethe auf Theaterbrettern aufersteht. Es ist dem Theater Scala zu danken, dieses Stück, das am 18. Dezember 1982 im Akademietheater seine Uraufführung erlebte, nun wieder hervorgeholt zu haben. Goethe-Puristen, die sich wie einst über den lockeren Umgang mit dem Genie entrüsten würden, gibt es heute wohl nicht mehr…

Und so erlebt man nicht nur den strebsamen jungen Herrn Eckermann, der seine eigenen Dichterambitionen und sein eigenes privates Schicksal hintanstellt, um sich allein auf Goethes Wünsche und Bedürfnisse zu konzentrieren. Man erlebt auch das Genie als alten Mann, der immer noch jeder hübschen Frau nachschaute, der im Familienkreis gefangen war und doch die große Kunst der Ausbeutung seiner Umwelt beherrschte (alles historisch verbürgt). Man lernt seinen Sohn August kennen, den er wie einen Bediensteten behandelte und der in den Alkohol flüchtete, seine Schwiegertochter Ottilie, die starrköpfig und selbstbewusst Widerstand leistete, seinen Diener Stadelmann, der die Gunst seines Herren immer wieder aufs Spiel setzte und doch bei ihm ausharrte, die zielbewusste Auguste Kladzig, die sich die Schwäche des alten Goethe zu Nutze machte und sich zur Schauspielerin auf seiner Weimarer Bühne emporschwang.

Viel Personal, klug um die Person Goethes arrangiert, wobei im zweiten Teil des Stücks vor allem dann „Eckermann nach Goethe“ im Mittelpunkt steht, ein Mann, der tragisch um seine pure Existenz kämpfte und den Martin Walser in einer letzten „Traumszene“ befragt, ob er Goethe nicht vielleicht doch eher gehasst als geliebt habe. Aber nein, Eckermann lässt sich seine Devotion, die ihn erfüllt hat, nicht abhandeln. Immerhin ist er ja sogar sprichwörtlich geworden – wer einen unendlich treuen, willigen, stets zu allem bereiten, zu jeder Tätigkeit freudig willigen Gefährten gefunden hat, dem sagt man nach, er habe seinen „Eckermann“…

Bruno Max hat in den sparsamen, aber geschickten und durchaus stimmungsvollen Raumlösungen von Robert Notsch (in historisch stimmigen Kostümen von Anna Pollak) eine bemerkenswert ausgewogene Inszenierung geschaffen, fern jeglicher Übertreibung. Bei allem Humor und aller Ironie wird weder der alte Goethe völlig lächerlich gemacht noch Eckermann zum schleimenden Duckmäuser verkleinert. Randolf Destaller, der den Idealisten Eckermann vom jungen Dichter bis zum Greis spielt, leistet da auch bemerkenswertes in der unaufhörlichen Selbstdefinition der Figur, Hans-Jürgen Bertram entschärft die Möglichkeit, Goethe zum Monster zu machen (was bei bösem Willen durchaus möglich wäre).

Starke Leistungen kommen von Johanna Rehm als Ottilie, die in ihrer Selbstdarstellung genau so heraus kommt, wie sie in der Literatur geschildert wird, und von Christian Kainradl als bedauernswertem Goethe-Sohn, der im Leben keine Chance hatte.

Eine Köstlichkeit sind zwei junge Frauen –  Lisa-Carolin Nemec, bezaubernd und skrupellos zugleich, um Goethe für ihre Karrierewünsche zu instrumentieren, und Eva-Maria Scholz als die junge Frau, die unter Protest, aber liebend darauf wartete, von Eckermann nach Jahren doch noch geheiratet zu werden…

Dazu kommen Bernie Feit als durch und durch schlitzohriger Diener oder Simon Brader als Dichter Freilingrath, der Gefahr lief, von Karl Marx ebenso vereinnahmt zu werden wie Eckermann von Goethe. Weiters noch eine Handvoll stimmiger Nebenfiguren.

Je mehr man von Goethe weiß, umso mehr wird man zu schätzen wissen, was Martin Walser hier gelungen ist. Und wenn man wenig von ihm weiß – ja, dann bekommt man einen guten Einblick in seine letzten Jahre. Das Premierenpublikum war äußerst angetan von dem Abend.

Renate Wagner

 

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