Foto: Theater Scala
WIEN / Scala:
FRANKENSTEIN von Mary Shelley
Bühnenfassung: Bruno Max
Premiere: 9. Jänner 2025
Ein Herz für das Monster
Zählen leidenschaftlicher Forscherdrang und hochfliegende Zukunftsvisionen zu den besten Eigenschaften der Menschen? Möglicherweise. Dass sie auch hybride Schattenseiten haben, das wusste die Britin Mary Shelley, als sie mit „Frankenstein“ einen Roman schrieb, der als Meisterwerk gleicherweise der Horror- wie der Sci-Fi.Literatur gilt. Der Traum des Menschen, Gott zu sein und Leben abseits der natürlichen, dafür vorgesehenen Wege menschlicher Paarung zu schaffen, ist alt – und man kann sicher sein, dass es auch heute überall auf der Welt hoch dotierte und geheime Labors gibt, in denen genau das versucht wird…
Viktor Frankenstein, der Titelheld des Romans, den Bruno Max nun auf die Bühne seines Theaters Scala bringt, ist nicht selbst das Monster – oder doch? Die Frage stellt sich zweifellos gerade in dieser Fassung, wo der Sub-Autor die Gedankenlosigkeit und Gewissenlosigkeit herausstreicht, mit der Wissenschaft auch betrieben wird. Frankenstein setzt – natürlich aus idealistischem Fortschrittswillen – aus Leichenteilen einen neuen Menschen zusammen und schafft es, ihn zum Leben zu erwecken. Da das Geschöpf optisch eine monströs anzusehende „Kreatur“ geworden ist, wirft er sie geradezu weg… ohne sich zu bekümmern, was aus ihr wird.
Bruno Max hält sich in seiner Bearbeitung (die freilich Figuren streicht und einzelne Handlungselemente verändert) aber vor allem an die „Kreatur“ – und bis auf zwei, drei Gelegenheiten, wo „Schrecken“ angesagt wäre (und den er möglichst unterspielen lässt), ist bei ihm von Horror nicht die Rede. Vielmehr widmet er sich dem ausgegrenzten Geschöpf geradezu liebevoll. Was im Roman wenig ausgeführt wird, nämlich wie die Kreatur sprechen, denken und über sich selbst zu reflektieren lernt, sich zudem eine bemerkenswerte Bildung aneignet, wird hier durch einen liebevollen Blinden erklärt, der sich der Kreatur annimmt.
Die „Morde“, die dieser im Roman begeht, sind hier alle Unglücksfälle, die aus der Situation und seiner Stärke resultieren. Seine Sehnsucht nach Menschen, Zuneigung, nach einer Frau (nachdem er vorwiegend Schlimmes erfahren hat), berührt. Bruno Max verurteilt die Kreatur auch nicht, wie im Buch-Original, zum Tode – in der Arktis (wo tatsächlich die Rahmenhandlung des Romans spielt) umarmen sich Schöpfer und Geschöpf und – man möchte fast sagen – „reiten gemeinsam in den Sonnenuntergang“. Tatsächlich hat Bruno Max für das Ende ein sehr schönes Bild gefunden, wie übrigens die ganze Aufführung auf menschlicher Ebene ausgewogen ist, auch wenn die Kreatur oft toben muss und der unglückselige Viktor Frankenstein unter seinem Schicksal verzweifelt leidet…
Robert Notsch hat auch ein sehr schönes Bühnenbild mit vielen stimmigen Projektionen beigesteuert und spielt die Kreatur, wozu ihn seine optische Massigkeit und seine Kraft prädestinieren. Paul Barna darf nur kurz im seligen Schaffensrausch des Wissenschaftlers verweilen, dann hat schon Mary Shelley nur herzzerreißende Gewissensbisse für ihn bereit.
Wie immer in der Scala sind die Nebenrollen stark besetzt. Alle außer die beiden Protagonisten sind in mehreren Rollen unterwegs, Christoph Prückner besonders liebenswert als der Blinde, Hermann J. Kogler überzeugend als geplagter Vater Frankenstein, Markus Tavakoli als schlitzohriger Inselbewohner, Eric Huget als altkluger Halbwüchsiger, weiters Stephanie-Christin Schneider, Anja Hrauda, Simon Brader, Hasiret M. Yavuz.
Dass Bruno Max in Frankensteins Braut Elisabeth (sehr lebendig, sehr sympathisch: Daniela Moser) eine so so kluge, empathische und liebenswerte Frau ausformt, mag vielleicht von Bewunderung für die Autorin Mary Shelley zeugen, die noch keine 20 war, als sie dieses vielschichtige, dichterisch fesselnde, viele essentielle Fragen aufwerfende Meisterwerk schrieb. Unter den vielen Fassungen, die der Roman auf der Filmleinwand und auf der Bühne erhielt, ist diese von Bruno Max zweifellos eine gute und mit ihrer neuen, einsichtigen Gewichtung bemerkenswerte. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.
Renate Wagner