Foto: Bettina Frenzel
WIEN / Scala: FLEISCHBANK
Eine Ballade von Alfred Paul Schmidt
Premiere: 30. September 2017
Der Fleischhauer, der durchgedreht ist und gemordet hat – das war ein realer Fall im Wien des Jahres 1974. Die „Postbotenaffäre“ (diese waren die Mordopfer) machte Schlagzeilen. Da man sich ja oft mehr für die Täter als für die Opfer interessiert, machte Autor Alfred Paul Schmidt aus diesem Schicksal ein Theaterstück. „Fleischbank“, eine „Ballade“ genannt, kam 1984 im Akademietheater zur Uraufführung. Es inszenierte Peter M. Preissler, der das Stück auch nun, 33 Jahre danach, in der Scala wieder betreut. Warum man diese „Trashballade“, wie das Theater sie nennt, jetzt wieder spielt? Gänzlich klar wird es nicht.
Sicher, es sind im Theatersinn gekonnte eineinhalb Stunden ohne Pause. Ort der Handlung: eine kleine Fleischhauerei in irgendeiner kleinen Gasse in der Vorstadt. Eine der beiden Ebenen verläuft in der Realität, und da packt der Autor zu und schildert punktgenau.
Die lästige, mehr noch, „anlassige“ Kundin, die in ihrer Einsamkeit den Fleischhauer mit ihren Geschichten belästigt und ihm dabei nicht ungern nahe käme: Birgit Wolf spielt alle kleinbürgerlichen Nuancen dieser Frau Dalma. Der lustvoll sadistische Herr von der Behörde, der seine Macht triefend genießt und eigentlich nur darauf wartet, mit ein paar Scheinen beschwichtigt zu werden (eine Leberkässemmel und eine Salami sind schließlich nicht so viel): die erste Meisterleistung von Bernie Feit. Die Bettgenossin, die wirklich nichts anderes will als möglichst viel Geld aus ihrem Fleischhauer zu pressen: Christina Saginth bringt das primitive, berechnende Wienertum der Hedwig so echt wie amüsant auf die Bretter. Der „gute Freund“, der ein echter Kleinkrimineller ist und seinen Schmäh nur für seine üblen Betrügereien einsetzt: Leopold Selinger ist die miese Öligkeit schlechthin. Selbst der junge Behinderte (man muss ihn schon gut kennen, um Bernie Feit auch in dieser Rolle zu erkennen, so perfekt ist seine Verwandlung) geht – so nett er zu ihm sein will – nur auf die Nerven des Fleischhauers. Und schließlich der armselige, larmoyante Briefträger, der unter seinem privaten Unglück schier zusammengeknickt ist – ein armes Stückchen Elend, großartig verkörpert von Michael Reiter.
Und inmitten all dieser wahrlich nervtötenden, weitgehend wertlosen Zeitgenossen, die der Autor mit satirischer Feder zeichnet, steht Herr Arnulf. Sein Schicksal verläuft auf der zweiten Ebene des Stücks – der Fleischhauer, der mit sich selbst nichts anzufangen weiß und dem Druck von allen Seiten nicht gewachsen ist. Immer wieder werden – durch Licht und Ton – jene Attacken gezeigt, in denen er es nicht mehr aushält und innerlich ausflippt, ohne es zeigen zu dürfen. „Einer hat immer das Bummerl!“ ertönt es, von einem Schweinchen intoniert. Doch stets findet er zurück in die Wirklichkeit, noch hält die bürgerliche Tünche.
Und dann hält sie nicht mehr, dann erschlägt er ohne ersichtlichen Grund den armen Briefträger, und die Szene, wie er sein Opfer entkleidet und in Folie verpackt, ist harter Tobak, schwer zu ertragen. Nun fühlt sich der Fleischhauer ungeheuer befreit, ein neuer Mensch, der durch die ungeheuerliche Tat ein nie gekanntes Selbstbewußtsein wie einen Rausch erlebt. Georg Kusztrich ist der großartige Schauspieler der Scala, der das schrittweise Schlittern in den Borderline-Wahnsinn so gestalten kann, dass es den Zuschauer würgt.
Florian-Raphael Schwarz als zweites Briefträger-Opfer und Karl Maria Kinsky als köstliche Studie eines rundlichen Komiker-Kommissars gehören in den schwierigen Mix des Stücks zwischen durchaus anvisiertem, stark schwarzem Humor, kopfschüttelnder Erkenntnis angesichts des Wiener Figurenreigens und dem unheimlichen Gefühl angesichts der Weg-in-den Wahnsinn-Studie. In einem wieder einmal brillanten Bühnenbild (Bruno Max / Marcus Ganser) balanciert Regisseur Peter M. Preissler das perfekt aus – um am Ende das arme Opfer in einen Prater-Himmel eingehen zu lassen. Was der Studie des Ausrastens allerdings etwas von ihrer Glaubwürdigkeit nimmt und sie in die Irrealität schickt. Noch eine Ebene.
Dass die exzellenten Darsteller ihren verdienten Beifall erhielten, versteht sich. Als Zuschauer fragt man sich allerdings am Ende, was die ganze Grauslichkeit gebracht hat…
Renate Wagner