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WIEN / Scala: FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN

12.11.2023 | KRITIKEN, Theater
©bettina frenzel

Alle Fotos: ©bettina frenzel

WIEN / Scala:
FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN von Ödön von Horváth
Premiere: 11. November 2023 

Wohl jeder Leser oder Theaterbesucher ist schon einmal der Versuchung erlegen, Geschichten oder Figuren „weiter zu denken“, sich deren Schicksale auszumalen, wenn der Vorhang gefallen ist. Zwar dichtete Kurt Tucholsky einst: „Und darum wird beim Happy End im Film jewöhnlich abjeblendt“ und impliziert damit, dass es möglicherweise nicht so schön weiter geht wie zum rauschenden Glücks-Finale… Aber wissen möchte man es gelegentlich doch.

Auch Ödön von Horváth hat eine Vorlage weiter gedacht. Zwar suggeriert in Mozarts „Figaros Hochzeit“ die strahlende Schlußmusik, dass alles wieder gut sei, aber wir wissen genau, dass dem nicht so ist. Die Revolution ist ja doch gekommen, und Horváths Stück „Figaro lässt sich scheiden“ beginnt mit der Flucht der Almavivas aus ihrer Heimat (auf genaue Ortsangaben lässt sich der Autor nicht ein). Susanne ist in Treue mit ihnen gekommen, Figaro folgt Susanne. Zu viert landet man im „sicheren“ Ausland, nachdem man die Zollschranken noch relativ einfach überwinden konnte…

Horváth nannte sein Stück eine „Komödie“, aber Regisseur Rüdiger Hentzschel zeigt in der Aufführung der Scala, was es wirklich ist – nämlich eine tieftraurige Reflexion über Emigration und Entwurzelung. Dabei legt er in einer praktischen eigenen Ausstattung (die Schauspieler mit Umbauverpflichtung) vor allem Wert darauf, die Figuren mätzchenlos genau nachzuzeichnen, denen Horváth ihre besonderen Profile gegeben hat. Vor allem, dass der Graf ein hochmütiger Aristokrat bleibt, der weder an die Dauer der Revolution glauben noch seinen großspurigen Lebenssteil aufgeben will – bis die Realität ihn eines Besseren belehrt

.Figaro und Susanne stehen einander als Gegenpole von pragmatischem Verstand und unbeirrbarer Gefühlsstärke gegenüber – das gibt Streitszenen auf hohem Niveau und doppeltem Boden, denn hier wird Ideologisches verhandelt und schauspielerisch hohe Schule verlangt (und geboten).

Es mag nicht eines von Horváths besten Stücken sein, aber es ist durchaus ein gutes, selbst wenn er – gerade er, der im Grunde nie zur Beschönigung neigte – am Ende von der idealen Revolution träumt, die schließlich ihre einstigen Feinde in die Arme schließt

©bettina frenzel

Mit Simon Brader und Lisa-Carolin Nemec hat der Abend, der dramaturgisch hervorragend mit Mozarts „Figaro“-Musik durchwoben ist, ein exzellentes Paar Figaro-Susanne, er in seinem klaren, nüchternen Überlebenswillen, der die bürgerliche Anpassung für einen Ex-Revolutionär sehr weit treibt (bis er wieder zu Verstand kommt), sie in unbeirrbarer Herzlichkeit (denn man sieht bekanntlich nur mit dem Herzen gut…).

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Die weitere starke Leistung des Abends kommt von Dirk Warme, der jede Sekunde ausspielt, dass für einen Aristokraten wie ihn Haltung essentiell ist, und dem man doch anmerkt, dass er sich selbst mit seinen Lebenslügen schwer tut. Die liebenswerte Monica Anna Cammerlander an seiner Seite ist ein Opfer Horváths, der sich um die Figur der Gräfin kaum gekümmert hat.

Das Ensemble muss jeweils viele Rollen übernehmen, am nachdrücklichsten ist Katharina Stadtmann als Fanchette, die Susannes Frauen-Power starke Unterstützung gibt, oder Christoph Prückner als Antonio. Den alt gewordenen Cherubino (Hendrik Winkler) hätte man ein wenig stärker profilieren können, der Rest des Personals sucht und findet seine Rollen und Effekte.

War schon die Ur-Vorlage von Beaumarchais nur bedingt eine Komödie und hat auch Mozart / DaPontes „Figaro“ seine Schattenseiten, so weiß Horváth in dem 1937 in Prag uraufgeführten Stück vom Unglück der Vertriebenen. Und solcherart gibt es in der Scala weniger zum Lachen als zum Mitfühlen und Nachdenken. Sehr viel Applaus.

Renate Wagner

 

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