Foto: Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
FETTES SCHWEIN von Neil LaBute
Premiere: 9. Mai 2024
Was nützt die ganze „Korrektheit“…
Eine Schauspielerin wie Stefanie Reinsperger, eine Sängerin wie Kathryn Lewek haben es am eigenen Leib erlebt, dass man nicht hinter ihren Rücken, sondern ganz offen hämisch über ihr „Gewicht“ sprach. Der amerikanische Dramatiker Neil LaBute, um den es in letzter Zeit still geworden ist, hat das Thema schon vor 20 Jahren behandelt. Wahrscheinlich war „Fettes Schwein“ (wir würden „Fettsau“ sagen) damals gar nicht so brisant wie heute, wo im Zuge der politischen Korrektheit ja jede Abweichung vom „Normalen“ als gut und richtig und keinesfalls diskriminierend dargestellt wird.
Wir haben das verbotene „Body Shaming“ und wir haben die „Body Awareness“, die den allzu Dicken dabei helfen soll, mit ihrem Körper in Frieden zu leben. Dass es, Korrektheit hin oder her, mit der Mitwelt nicht so einfach ist – das hat LaBute sehr gut eingefangen. Was nützt die ganze theoretische „Korrektheit“, wenn sie mit der Realität des Alltags und gar nicht so edlen Menschen (Nestroy nennt sie „grundschlechte Leut‘) zusammen prallt? Wobei sich das Alter seines Stückes daran zeigt, dass die Sozialen Medien, die ja heutzutage jeden zu Tode hetzen können (und es in einem solchen Fall von Häme, Bosheit und Gemeinheit auch täten), da noch keine Rolle spielen.
LaBute stellt vier Personen auf die Bühne, die ihm alle als Charaktere glücken. Zwar schleudert Helen ihrer Umwelt nicht ein selbstbewusstes „Ich bin rund, na und`“ entgegen, aber sie versucht, trotz aller Attacken, die sie offenbar gewöhnt ist, in Einklang mit ihrem Übergewicht, das sie immer zur Außenseiterin stempelt, zu leben und sich nicht zu ducken. Als Tom sich in sie verliebt, versucht sie geradezu berührend, diese Chance einer „normalen“ Beziehung festzuhalten…
Dieser Tom ist zwar ein netter Kerl, aber besonders charakterstark ist er nicht, und ein Kämpfer schon gar nicht. Als die Mitwelt beginnt, gnadenlos auf seiner dicken Freundin herum zu hacken, weiß er früher oder später (eher früher), dass er dem nicht standhalten kann. Dass er selbst in den Abgrund mitgezogen würde, wenn er an Helen festhielte – und dass ihm das, sorry, die Sache ja doch nicht wert ist.
Jeannie ist die Bürokollegin, mit der Tom früher ein Verhältnis hatte, das aber schief ging, was sie nicht akzeptieren will. Als man ihr, der Schönen, Schlanken, Eleganten ein Dickerchen vorzieht, rastet sie vor Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit geradezu aus. Und Carter ist für Tom zwar ein Freund, aber gnadenlos, wenn es darum geht, diesem klar zu machen, was es kostet, sich einer Gesellschaft entgegen zu stellen (zumal in einer Firma, wo offenbar auf Äußerlichkeiten Wert gelegt wird).
Trotz dieser Vorgaben richtig gesehener Figuren ist Neil LaBute kein wirklich gutes Stück gelungen. Die jeweiligen Dialoge drehen sich im Kreis, sind ermüdend in ihren Wiederholungen, und das Aufgeben von Tom, der nicht stark genug ist für das Problem, entwickelt sich in der Regie von Sam Madwar nicht wirklich spannend.
Anna Sagaischek hat den Körper für die Helen, nicht ganz die nötige sprachliche Souveränität, aber sie zeigt eine liebenswerte Figur. Auch der Tom des Ben Spindelberger ist überzeugend in seinem Schwanken. Selina Ströbele als die verschmähte Frau muss in ihrer Wut ein bißchen zu undifferenziert herumschreien, und Sebastian von Malfèr hat als Carter ja doch die schwächste Rolle, wogegen er überzeugend ankämpft.
Alle vier tun einem von Herzen leid, weil sie in den Gefängnissen ihres Ichs vermutlich unrettbar eingesperrt sind, aber es ist doch immer wieder mühsam, ihnen dabei zuzusehen. Viel Applaus vom Wiener Premierenpublikum, das der Geschichte seine Anteilname nicht versagte.
Renate Wagner