Fotos: Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
ELEKTRA von Hugo von Hofmannsthal
Premiere: 3. Dezember 2019
Man fragt es sich jedes Mal, wenn man dem Stück auf der Bühne begegnet: „Geht“ die Elektra des Hugo von Hofmannsthal ohne die Musik von Richard Strauss? Zuletzt, als Michael Thalheimer 2012 im Burgtheater Stil vor Inhalt stellte, war es als „Theater“ (wenn auch nicht als überzeugendes Stück) möglich. Nun, in der Scala, wo Jungregisseur Matti Melchinger versucht, das Stück in seiner ganzen rasenden Radikalität auf die Bühne zu bringen, ist er ins offene Messer gelaufen. Die Antwort kann nur lauten: nein, ohne die Musik von Richard Strauss geht es nicht.
Die „Schuld“ liegt bei Hugo von Hofmannsthal, der in den feinsinnigen Welten eines „Schwierigen“, eines „Rosenkavaliers“ ideal aufgehoben war (schon die katholizierenden Schüttelverse des „Jedermann“ knarren). In „Elektra“ bedient er sich einer Sprache, die dauernd über ihren eigenen antikisierend-„dichterischen“ Anspruch stolpert und dabei nichts ist als parfumierter, aufgeblasener Jugendstil, der sich um eine Rache- und Blutorgie rankt.
Sicher, es ist eines der großen Themen der Antike – die Rache, zu der Elektra ihren Bruder Orest treibt, ihre Mutter Klytämnestra und deren Geliebten Aegisth für den Mord an ihrem Vater Agamemnon so grausam zu strafen, wie es nur denkbar ist. Wobei die Persönlichkeit der Elektra, die nur durch die Idee der Rache lebt, die sich quasi davon ernährt, deren Existenz kein anderes Ziel hat, schon bei den antiken Autoren ein schwer pathologischer Fall ist. Das auch nur glaubwürdig, geschweige denn einsichtig zu gestalten, kann vermutlich gar nicht gelingen, auch wenn der Regisseur im Programmheft Überlegungen zum Vergessen, zur Rache und zum daraus erwachsenden neuen Unrecht anstellt…
Der junge Matti Melchinger glaubte, wie gesagt, an die Geschichte, ließ sich von Sam Madwar eine Bühne bauen, in der man auch die Strauss’sche „Elektra“ spielen könnte, den Rumpelkammer-Hinterhof des Schlosses, und die Protagonisten sehen (Kostüme: Katharina Kappert) mit Ausnahme von Klytämnestra alle entsprechend abgerissen aus. Ganz selten verlässt er das (scheinbar) reale Umfeld – wenn er Elektra Silhouetten-Visionen ihres verstorbenen Vaters zugesteht. Dann tobt auch Musik, allerdings nicht von Strauss, sondern paraphrasierter Pop (Musik: Fritz Rainer).
Und dann wird im „alten Stil“ losgebrüllt (Konzession an die Gegenwart: Elektra leuchtet Aegisth statt mit einer Fackel mit einer Taschenlampe). Kim Bormann, dürr und drahtig, rast sich als Elektra auf konventionelle Weise die Seele aus dem Leib, ohne zu berühren (höchstens durch den Einsatz beeindruckend, wie der begeisterte Beifall für sie zeigte). Angela Ahlheim erfüllt die Aufgabe der Chrysothemis, nach einem „normalen“ Leben zu rufen. Wenn am Ende das Toben des mordenden Orest (Felix Krasser) ziemlich weit geht – er schleppt einfach alle Leichen auf die Bühne, auch die Begleiterinnen der Klytämnestra -, erscheint sie offenbar mit einem Köfferchen: Will sie das Weite suchen? Aber da ist das Stück schon zu Ende (nach den eineinviertel Stunden, die es nun einmal dauert), und man kann ihre Figur nicht weiter verfolgen.
Da ist dann noch ein fast lächerlich proletarisch pöbelnder Aegisth (Leonhard Srajer), da sind drei Damen, die erst spottende Mägde, dann maliziöse Begleiterinnen der Klytämnestra spielen (Regina Schebrak, Maja Sikanic, Ivana Stojkovic), und schließlich diese selbst: Man glaubt Bettina Soriat eine neurotische Königin, wenn auch in Light-Version.
Wirklich überzeugend konnte das Unternehmen nicht gelingen, dazu sind die Voraussetzungen zu schlecht. Immerhin hat das Team an der Scala ein Glaubensbekenntnis zu Hofmannsthal abgelegt, was ehrenhaft ist – wenn auch vergeblich.
Renate Wagner