Fotos: © Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
DIE HOCHZEIT von Elias Canetti
Premiere: 13. Jänner 2022.
Wiederaufnahme: 9. April 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 12. April 2022
„Die Hochzeit“ von Elias Canetti, 1932 verfasst, zählt sicher zu den bösesten, gnadenlosesten Stücken der Theaterliteratur. Der Einfluß von Karl Kraus, der etwa in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ mit ähnlicher Radikalität vorging, ist unverkennbar. Hier ist in einem Wiener Zinshaus gewissermaßen der menschliche Abschaum zusammen gekehrt, alle getrieben von Gier nach Geld und Sex, aber auch lustvoll in der Gemeinheit und der Vernichtung ihrer Mitmenschen badend. Die Niedertracht, mit der sie handeln, die Verachtung, die sie einander zeigen, reflektiert das Menschenbild eines Autors, der von Menschen per se nichts hielt und sie darum am Ende seines Stücks lustvoll in den Orkus schleudert.
„Die Hochzeit“ ist ein „großes“ Stück, 18 Schauspieler stehen in der Scala auf der Bühne (wobei einige noch mehrere Rollen spielten). Neben dem Riesenensemble werden noch verschiedene Schauplätze in dem Wiener Zinshaus verlangt, inklusive der Nobelwohnung eines reichen Baumeisters, wo die Hochzeit von dessen Tochter stattfindet. Und ans Ende hat Canetti den Untergang gesetzt, das Haus stürzt zusammen, ein Ende der Welt, die Vernichtung jener Menschen, die der Autor so überzeugend zum Leben erweckt und offenbar so gehasst hat.
Ob eine gierige Enkelin es nicht erwarten kann, dass die alte Hausbesitzerin stirbt, ob sich bei der Hochzeitsgesellschaft herausstellt, dass eigentlich jeder mit jedem geschlafen hat und dieser Tatsache mit höchstem Zynismus gegenübersteht, ob alte Männer vor sexueller Gier hecheln und junge Leute schon das Heucheln und das Manipulieren meisterlich beherrschen … es gibt nicht eine wirkliche positive Figur, nicht einen Lichtblick in dem Stück.
Es ist nicht nur schwierig „aufzubauen“, sondern durch die manchmal unübersichtliche Personenfülle und natürlich die Apokalypse am Ende schwierig zu inszenieren. Dass Bruno Max dies auf dem doch kleinen Areal der Scala so meisterlich hinbekommen hat (inklusive stockartige Aufbauten und Drehbühneneffekte), kann nur ehrliche Bewunderung erregen. Dass alle Figuren ihr Profil erhalten und über die Gräßlichkeit dessen, was Canetti ihnen mitgibt, nicht noch weiter überzeichnet werden, und dass schließlich dass das Chaos am Ende wirklich „Furcht und Schrecken“ erregt (was ja nach antiker Regel der Zweck des Theaters war), das zeugt von hervorragendem Handwerk und großem Theaterinstinkt.
Bruno Max und Bernie Feit
Bruno Max selbst, der in seinem Theater stets nur hinter der Bühne tätig war, erinnerte sich an seine Anfänge als Schauspieler und übernahm selbst die Rolle des Familienvaters und angeberischen Großbürgers, der zu naiv ist, die Schlechtigkeit seiner Umwelt zu durchschauen. Unter den üblen alten Herren in der Hochzeitsgesellschaft ragen Hermann J. Kogler als schmieriger alter Doktor hervor, der nicht von ungefähr „Bock“ heißt und einiges an sexueller Belästigung leistet, ebenso wie Bernie Feit als Sargfabrikant, der zwischen Geldgier und Lust schwankt.
Peinlich, wie sich die Brautmutter (die intensive Sibylle Kos) über den Bräutigam ihrer Tochter (Clemens Fröschl) her macht, der gleicherweise von der jüngeren Tochter (Sophia Greilhuber) belästigt wird. Dass er der Braut, die schon durch viele Betten gewandert ist (Veronika Petrovic, so hübsch und so abgebrüht) herzlich egal ist, macht sie mit ihrer oberflächlichen Freundin (Lisa-Marie Bachlechner) klar. (Deren Bräutigam – Simon Brader – ist zu einem echten Nebenrollen-Schicksal verdammt.) Das Frauenbild des Stücks könnte verheerender nicht sein, mit der hysterisch nach Geld, Geld, Geld suchenden Hausbesitzerin-Enkelin (Michelle Haydn), einer Schwachsinnigen (Anna Sagaischek), einer Witwe, die sich neu orientieren will (Eva-Christina Binder) und einer Apotheker-Gattin (Eszter Hollosi), die ihren verstockten Mann (Christoph Prückner) schamlos preis gibt. Ein hilfloser Sohn (Robert Elsinger) ist auf der Suche nach seinem Platz im Leben, den er nicht mehr finden wird, ein Allseits-Schmarotzer (Randolf Destaller) schmiert sich von Frau zu Frau – und da ist noch jene Figur, die von Anfang an nicht richtig dazu zu gehören scheint und sich schließlich zu einer allegorisch-moralischen Gestalt aufschwingt, die das Ende der Welt (dieser Welt) verkündet: Marc Illich, der alle Avancen der Damen abgewehrt hat, wird vom blonden Beau zum Racheengel, der den verdienten Untergang einleitet. Und dann lässt es die Regie, wie erwähnt, beeindruckend so richtig krachen.
Die Scala hatte das Stück schon im Jänner heraus gebracht, musste aber Covid-bedingt so viele Vorstellungen absagen, dass man sich nun zur Wiederaufnahme entschloß. Die zweite Vorstellung nach der zweiten Premiere war so voll, wie es sich ein Theaterdirektor nur wünschen kann, und das Publikum spendete beeindruckten Beifall.
Renate Wagner