
©bettina frenzel
WIEN / Scala:
DAS KAFFEEHAUS von Carlo Goldoni
Premiere: 22. April 2023
Da hatte Carlo Goldoni (1707 – 1793) sozusagen gerade erst mit dem „Diener zweier Herren“ die Commedia dell’arte in die wahren Höhen der Theaterkunst erhoben, da wandte er sich ein paar Jahre später von dem starr typisierten Virtuosentheater ab und schuf mit „Das Kaffeehaus“ 1750 eine bemerkenswerte Charakterkomödie. Natürlich sind es immer noch „Typen“, die hier herumlaufen, aber doch in hohem Maße individualisiert. Und dramaturgisch rund um irgendeinen Platz in Venedig bestens verknüpft.
Bruno Max ging in der Scala daran zu beweisen, dass Figuren des italienischen Settecento gar nicht so weit von uns entfernt sind, dass die windigen Erscheinungen der Casanova-Epoche im Grunde auch noch heute zu finden sein könnten (theatralische Überzeichnung ist dabei natürlich erlaubt).
Italien in den Fünfziger Jahren (auf einer Zeitschrift prangt die junge Lollobrigida am Titel) – da ist Bühnenbildner Marcus Ganser wieder mit seinem goldenen Händchen und unfehlbaren Geschmack am Werk. Italienisches Design, minimalistisch und elegant, die Piazza im Spannungsfeld zwischen Treffpunkt Kaffeehaus, Verlockung Casino, Wohnhaus und Hotel, die Einheit des Ortes trägt viel zur Geschlossenheit des Geschehens bei, das im übrigen mit fabelhafter Präzision und auch Geschwindigkeit vorbeirauscht, getragen von Schauspielern, die sprechen können und sich nicht scheuen, dies zu tun.

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Zwei Gestalten sind der Angelpunkt des Geschehens. Einen „Gutmenschen“ wie den Cafetier Ridolfo hat man bis dahin auf keiner Lustspielbühne gesehen, und wenn, wäre er für seine naive Dummheit ausgelacht worden. Nichts davon hier, wo Georg Kusztrich den durch und durch anständigen Mann, der nur das Beste für alle will (und auch noch Geduld für die schlechten Menschen aufbringt), mit solcher Überzeugungskraft verkörpert, dass er keine Sekunde lächerlich wird und immer das Kraftzentrum des Geschehens bleibt. Der seltene Fall eines „guten“ Menschen, der in einer schlechten Umwelt tatsächlich etwas bewirken kann.

©bettina frenzel
Da ist Don Marzio weit eher „Type“, Giftspritze, notorischer Schwätzer und Wichtigmacher, lustvoller Gerüchte-Verbreiter und Bosnigl – er richtet (bewusst? unbewusst?) jede Menge Schaden an, man mag ihn nicht, und doch verbreitet Hermann J. Kogler unwiderstehliche Suada, ein Komödiant, der selbst nicht lacht, und darauf kommt es an.
Bruno Max lässt in ganz scharfer Zeichnung der einzelnen Figuren keinen Zweifel daran, dass sich hier nicht gerade edle Typen im Kaffeehaus tummeln, und so wie etwa Markus Tavakoli den Casinobesitzer Pandolfo spielt, in so perfektem Mafia-Look, dass er in jeden einschlägigen Hollywood-Film passen würde, ist da auch die Gefährlichkeit spürbar, die hier immer wieder waltet (zumal ihm Bruno Max in Gestalt von Gerhard Hradil einen Leibwächter mitgegeben hat, den er entsprechend bedrohlich Scoroncocolo benannt hat…)
Rund um das Kasino sind die Gauner (Tony Matzl als geschniegelter angeblicher „Graf“ Leandro, tatsächlich vor allem Falschspieler) ebenso zuhause wie die totalen Schwächlinge (eine bemerkenswerte Studie von Sebastian von Malfèr als gewissenloser, spielsüchtiger, sich von einer Katastrophe in die nächste lügender Eugenio). Bei den Herren putzen noch nachdrücklich Simon Brader als Kellner Trappola und in einem Kurzauftritt Bernhardt Jammernegg als Commissario (nein, nicht Brunetti) das Geschehen auf.
Eine Spur zu schrill geraten sind die Damen, am wenigsten Anna Zöch als Tänzerin Lisaura, ganz Fünfziger Jahre in roter Fischerhose, scheinbar so sittsam, tatsächlich so käuflich. Aber die betrogenen Ehefrauen legen so richtig los, als spielte das Stück nicht unter Bürgern, sondern unter Fischweibern: Samantha Steppan trägt den Namen Placida zu Unrecht, das Rübensüßchen, das ihren aus Mantua abgepaschten Gatten sucht, dreht nach und nach auf. Am nachdrücklichsten toben darf / muss Lisa-Marie Bachlechner als Eugenios Gattin Vittoria, der man noch überflüssigerweise einen Schwangerschaftsbauch angehängt hat.
Dass es bei Goldoni turbulent zugehen darf, ja soll, bedient der flotte, etwas mehr als zweistündige Abend in der Scala perfekt. Darüber hinaus beantwortet er die Frage: „Was hat uns das Stück noch zu sagen?“ durch den Fall eines gelungenen Zeitsprungs. Ja, die Typen könnte es gegeben haben, damals in den Fünfzigern auf einem kleinen Platz in Venedig… Sehr viel Beifall.
Renate Wagner