Foto: Bettina Frenzel
WIEN / Scala:
AB JETZT von Alan Ayckbourn
Premiere am 16. Februar 2019,
besucht wurde die dritte Vorstellung am 20. Februar 2019
Sir Alan Ayckbourn wird im April dieses Jahres 80 und hat schon seit einiger Zeit mit dem Stückeschreiben aufgehört. Über Jahrzehnte hinweg allerdings belieferte er nicht nur die Londoner und englischsprachigen Bühnen, sondern die ganze Welt mit großteils brillanten Theaterstücken, meist Komödien.
Schon als man „Henceforward“ – zu Deutsch: „Ab jetzt!“ – zum ersten Mal in London begegnete (die Uraufführung war 1987, in Wien ist das Stück bisher nie gelandet), wusste man, dass dem Brite da etwas Besonderes gelungen war. Er hat seine Fähigkeit, turbulente Farcen zu schreiben, damals mit einer Sci-Fi-Welt verbunden, die vor einem Dritteljahrhundert noch weit entfernt schien. Heute erschrickt man fast dabei, wie unglaublich hellsichtig Ayckbourn Entwicklungen vorausgeahnt hat.
Allerdings – nein, Roboter laufen noch nicht in jedermanns Haushalten herum und erledigen die Arbeit, das wird wohl erst kommen. Wer weiß, ob man heute viel weiter ist als die Prototypen, die Ayckbourn dem Gelächter preisgibt, in ihrem hilflosen, wankenden Gestakse durch die Wohnungen und ihrem papageienhaft-geringen Wortschatz. Aber dass ein Mann wie der Komponist Jerome sich völlig in seine eigene Welt zurückgezogen hat und nur noch hinter seinen Computern lebt – diese Nerds sind unter uns. Dass er alles aufzeichnet, was um ihn herum gesprochen wird – nun, wir alle haben den Verdacht, dass die Lauschangriffe durch unsere Bildschirme kommen und jeden von uns treffen… Dass ein Vater seine süße kleine Tochter von der geschiedenen Frau zurück haben will und sie bekommt, weil sie mittlerweile eine gendergestörte Radikale ist (die er nun gar nicht mehr will), auch solche Entwicklungen sind nicht fremd. Und dass man sich ohnedies nicht mehr aus dem Haus traut, weil draußen ununterbrochen der Terror von Banden tobt (sie können sich gut und gern „die Töchter der Finsternis“ nennen) – es gibt genügend Orte auf der Welt, wo das brutale Wirklichkeit ist. Durch welches Wunderfernrohr dichterischer und Entwicklungen erkennender Intuition hat Ayckbourn damals in die Zukunft geblickt? Es ist einfach verblüffend.
Vieles ist an der Aufführung der Scala brillant, nicht zuletzt das großzügige Bühnenbild, in das Regisseur Marcus Ganser das Geschehen stellt, in dem Anselm Lipgens als Jerome versucht, den Forderungen seines Lebens Stand zu halten. Anfangs kommt die menschliche Umwelt ohnedies nur per Video herein (Andreas Steppan wird von Anruf zu Anruf desolater). Und im übrigen wackelt da sein Roboterweibchen herum, offenbar noch mit ein paar Konstruktionsfehlern – und eine komische Meisterleistung von Christina Saginth. Die Menschenfrau Zoe, die er sich „bestellt“ hat (von schüchtern zu entschlossen und wunderbar intensiv: Martina Dähne), geht zwar bald mit ihm ins Bett, merkt aber, dass sie mit einem Mann, der „Leben“ nur in seine „Kunst“ verwandelt und außerdem hinter seinen Computern angewachsen ist, nicht zurecht kommt…
Ayckbourn selbst hat bestimmt, dass die Darstellerin des Roboters im zweiten Teil als seine Ehefrau Corinna auftritt, während die Darstellerin der Zoe nun als (optisch verwandelter) Roboter erscheint – so gänzlich ist die Logik dieses Wechsels nicht nachzuvollziehen, aber für die Darstellerinnen ergibt es natürlich brillante Möglichkeiten. Denn wenn Jerome nun Exgattin und einen Sozialarbeiter empfängt, um sie zu überzeugen, dass Töchterchen Geain doch wieder mit ihm leben darf, sieht seine Roboterdame nun wie eine Traumfreundin im geordneten Haushalt aus. Zu Christina Saginth, jetzt als streitbare Mutter, und Martina Dähne, jetzt zirpendes Blondchen mit ungeahnter Energie, gesellen sich nun Wolfgang Lesky als hektischer „Mervyn vom Sozialamt“ und Carina Thesak als Schreckschraube einer Rocker-Tochter in Leder, die darauf besteht, ein Mann zu sein, und sich aggressiv herumbrüllend benimmt wie der Rotz am Ärmel… Da sage noch einer, Alan Ayckbourn habe nur Komödien geschrieben!
Am Ende bekommt Jerome noch eine Chance, ins menschliche Leben zurück zu kehren, aber die Computer rufen, locken, nehmen in Besitz. Ayckbourn ließ das Ende offen, die Scala-Aufführung beschert dem Geschehen eine Art von finalem Bombeneinschlag. Es war ohnedies hoffnungslos…
Allerdings nur für das, was Ayckbourn sich da dystopisch ausgedacht hat. Nicht für einen Theaterabend, bei dem man viel lacht und der dennoch scharf unter die Haut geht.
Renate Wagner