Fotos: Rita Newman
WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater:
PETER SCHLEMIHLS WUNDERSAME GESCHICHTE
Nach Adelbert von Chamisso
von Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski
Uraufführung
Premiere: 1. April 2022
Opernfreunde kennen Peter Schlemihl, den Mann ohne Schatten, selbstverständlich aus „Hoffmanns Erzählungen“, aber E.T.A. Hoffmann war nicht der Einzige, der diese sprichwörtliche Figur in sein Werk einfügte. Es war Adelbert von Chamisso, der den Pechvogel an sich (das versteht man unter dem Wort „Schlehmil“, das auf alte jüdische Tradition zurück geht) in seinem berühmten Kunstmärchen zu ewigem literarischem Leben verhalf.
Es geht darin um einen chancenlosen jungen Mann, der sich von einem „grauen Herren“ seinen Schatten gegen nie endenden Reichtum abkaufen lässt. Aber mit dem Schatten hat er etwas von sich preisgegeben, was ihn gewissermaßen vom Rest der Welt ausschließt – der Preis, den die Superreichen wohl bezahlen. Als der graue Herr schließlich noch seine Seele will, verschließt sich Schlehmil mit großer Tapferkeit dem Teufelspakt und wirft seinen Reichtum von sich. Schließlich eilt er in Siebenmeilenstiefeln um die Welt und betätigt sich als Naturforscher (wie sein Autor…). Dem Dichter Adalbert von Chamisso hat Schlehmil, wie er in der letzten Passage seines Ich-Berichts sagt, zum „Bewahrer meiner wundersamen Geschichte erkoren“.
Nun gibt es zu der Erzählung Briefe, in denen Chamisso mit Freunden über Schlehmil spricht, und das haben die Bearbeiter Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski als Legitimation benützt, der Geschichte eine Rahmenhandlung zu geben – die eines Dichters, der quasi selbst in sein Werk „hineinsteigt“, um seinem Helden zu helfen, und dem manchmal (und das ist besonders reizvoll) auch die Handlung der Geschichte entgleitet und der sich selbst in Konfrontation mit dem Teufel findet… Diese Vielschichtigkeit hebt diese Dramatisierung vom schlichten „Schatten“-Märchen ab, zumal die Autoren mit Recht auch viel Wert darauf legen zu zeigen, was Geld (richtig viel Geld!) aus den Menschen macht.
Das erlebt der arme Schlucker Schlehmil erst am Benehmen eines unverschämten Superreichen, des Herrn John, aber auch daran, wie sich das Verhalten etwa eines groben Wirtes zu buckelnder Schleimerei pervertiert, wenn er Geld sieht. Aber Schlehmil lernt es auch an sich selbst, wie man sich verändert, wenn man alles kaufen kann…
Darüber hinaus geht es natürlich um Liebe (eine Romanze, allerdings ohne Happy End), geht es darum, dass ein anständiger Mensch sich letztlich doch nicht verbiegt und verkauft, geht es um die Standhaftigkeit, einem sehr lästigen Teufel zu widerstehen, geht es um die Einsamkeit, die am elegischen Ende steht.
Eine schöne, runde Sache, wenn auch mit gut zweieinhalb Stunden Spieldauer für ein jugendliches Publikum ab 11 Jahren vielleicht zu lang. Aber gerade durch die kunstvolle Verschachtelung der Geschichte ist das weit über ein „Märchen“ hinaus natürlich vollinhaltlich für Erwachsene interessant und auch immer wieder amüsant.
Gerald Maria Bauer hat selbst inszeniert, in einer an sich bescheidenen, aber geschickten Ausstattung von Friedrich Eggert, der auch für das Lichtkonzept des Abends zuständig ist – schließlich muss man die Schatten ja von Zeit zu Zeit zeigen, wenn es um einen Mann geht, der keinen mehr hat…
Der Abend des Theaters der Jugend besticht wieder einmal durch die Besetzung, wobei drei junge Männer in den zentralen Rollen glänzen, gewissermaßen einer besser als der andere – Marius Zernatto, der Idealtyp für den schüchternen, liebenswerten, letztlich vor allem grundanständigen Menschen, um den es geht.
Valentin Späth als zerrissener Dichter Chamisso, der sich in Schlehmils besten Freund und Diener Brendel verwandelt und so viel Ehrlichkeit und Anteilnahme ausstrahlt. Und schließlich Florian Stohr, dem man ohne weiteres den Teufel (und den intriganten zweiten Diener sowieso) glaubt.
Aber auch Kaj Louis Lucke in vielen Rollen (besonders nachdrücklich als der penetrante, reiche Herr John), Victoria Hauer als selbstbewusste Mira, der man ein Happy End gegönnt hätte, liefern in dem qualitätvollen Ensemble, das ununterbrochen gefordert ist (und sei es nur immer wieder als „Schatten“), eindrucksvolle Leistungen. Viel Beifall für einen überzeugenden Abend, der durch keinerlei sinnentleerte Verfremdung oder Modernisierung verärgerte, sondern sich einfach ganz auf sein Thema einließ.
Renate Wagner