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WIEN / Renaissancetheater: HEIDI

Unter falscher Flagge

05.12.2024 | KRITIKEN, Theater

 

heidi
Fotos: Klaus Engelmayer/TDJ

WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater: 
HEIDI
nach dem Roman von Johanna Spyri
von Thomas Birkmeir
Premiere: 5. Dezember 2024 
Besucht wurde die Voraufführung am 4. Dezember 2024

Unter falscher Flagge

Hoppala, was ist denn da passiert? Heidi, wie hast Du Dich verändert! Bis zur Unkenntlichkeit! Du bist nicht mehr von Johanna Spyri, sondern möglicherweise aus der Welt der rabiaten Widerstands-Kinder der Christine Nöstlinger geboren! Dein geistiger Vater für die Aufführung des Theaters der Jugend ist dessen Direktor Thomas Birkmeir,  dem man schon hervorragende Bearbeitungen verdankt. Diesmal allerdings wollte er dem Zeitgeist allzu sehr Tribut zollen (so dass die „Blutsbruderschaft“ zu einem Bruder/Schwestern-Bund werden muss). Heidi segelt bei ihrer Uraufführung in neuer Fassung unter entschieden falscher Flagge.

In Johanna Spyris berühmen Roman, der freilich schon aus dem Jahr 1880 stammt (mit Fortsetzung 1881) und ein Welterfolg seltenen Ausmaßes wurde, Dutzende Male verfilmt, als Comic und Musical verbreitet, ist Heidi ein fünfjähriges Kind, als sie von ihrer Tante zu ihrem einsiedlerischen Großvater auf eine Schweizer Alm gebracht wird. Im Renaissancetheater erlebt man sie in Gestalt einer Schauspielerin, die optisch kaum noch als Teenager durchgeht. Das unschuldige Kind, das instinktiv aus Naivität und Gutherzigkeit immer das Richtige tut, ist zu einer von Anfang an kämpferischen jungen Frau geworden, die – als „Fetzenbankert“ auftretend – ihr Schicksal entschlossen in die Hand nimmt. Sehr heutig, sicher, aber was hat das mit Heidi zu tun? Zumal die Handlungselemente gewiss nicht in unsere Zeit passen.

Dass Thomas Birkmeir eine bösartige Dorfgesellschaft geschaffen hat, passt ebenso zum Zeitgeist wie seine Parodie eines bösen Deutschtums. Es soll hier gar nicht aufgezählt werden, was alles „anders“ (um nicht zu sagen: verfälscht) ist, denn –  Autoren haben längst ihre Rechte verloren – ein Bearbeiter geht eben seinen Weg, wie er ihm für richtig erscheint.

Und Regisseurin Claudia Waldherr folgt ihm. Vom ironischen Gejodel des Beginns bis zum absolut albernen Ende, wo die ganze Heidi-Belegschaft auf Weltreise zwischen Afrika und Tibet geschickt wird, setzt sie auf Parodie und laute Überdeutlichkeit – da mag „Erzählerin“ Sascia Ronzoni ihren Part noch so sympathisch und nicht allzu ätzend ausführen.

heidi

Sich Franziska Maria Pößl als Heidi vorzustellen, gelingt keine Sekunde, man kann sie nur als sehr lebendige, starke Hauptdarstellerin der anderen Art akzeptieren. Eher passen noch Frank Engelhardt als Alm-Öhi (eigentlich hieß es ja einmal Alp-Öhi) und Jonas Graber als Geißen-Peter.

Eine üble Klischee-Gestalt, über die allerdings gut zu lachen ist, gibt Karoline-Anni Reingraber als Fräulein Rottenmeier, die terroristische Haushälterin in Form einer KZ-Wächterin, während Uwe Achilles den Diener Sebastian (hier auch knüppeldickes Klischee) herzerwärmend verkörpert. Das Schicksal der Clara im Rollstuhl (Shirina Granmayeh) bleibt nur angedeutet, da sich diese Fassung mehr und mehr vom Original entfernt.

Der Abend bietet nicht, was er verspricht, ein bißchen Etikettenschwindel ist da zweifellos dabei.  Schon vom Inhalt her kann es „Heidi heute“ nicht geben. Warum versuchen, sie durch alle möglichen Verbiegungen „passend“ zu machen – wenn sie dann nichts mehr mit der Heidi zu tun hat, die wohl nicht zuletzt ihren Weltruhm daraus bezieht, ein kleines, naives, wunderbar warmherziges Kind zu sein…?

Nicht unerwähnt soll allerdings bleiben, dass den Kindern von heute die rabiate Heidi sehr gut gefallen hat. Was könnten sie wohl mit der originalen Heidi anfangen? Um diese zu finden, müssten sie allerdings das originale Buch lesen… und die eigene Herzens-Naivität testen.

Renate Wagner

 

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