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WIEN / Renaissancetheater: DER KLEINE LORD

04.12.2018 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater:
DER KLEINE LORD nach Frances Hodgson Burnett
von Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski
Premiere: 4. Dezember 2018

Das Theater der Jugend spielt einen Jugendbuch-Weihnachtsklassiker: „Der kleine Lord“, der allerdings mit dem weißhaarigen Kopf des „alten Lord“ von Alec Guiness in der Verfilmung von 1980 im allgemeinen Bewusstsein wohnt. Geschrieben 1886 von der britisch-amerikanischen Kinderbuchautorin Frances Hodgson Burnett, ist die Geschichte rührender Sozialkitsch, der wahrscheinlich auf Dickens-Spuren wandeln wollte…

Das Theater der Jugend verfährt mit dem „Kleinen Lord“ wie neulich mit „Oliver Twist“: Man holt eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert voll und ganz in die Gegenwart, damit die Kinder die Optik und die Sprache erkennen. Allerdings ist „Oliver Twist“ ein Meisterwerk der Weltliteratur, bei dem man heikler ist. „Der kleine Lord“ verliert zwar enorm, wenn sein historisches Ambiente fällt, aber für einen lauten Theaterabend, der auch schon für die jüngsten Schulkinder gedacht ist, funktioniert es, und man zerstört schließlich kein Meisterwerk.

Gerald Maria Bauer hat den Roman zusammen mit Sebastian von Lagiewski dramatisiert, wobei er sich stark an den Film anlehnt, nur das Ende dahingehend erweitert, dass der einst so steife alte Lord, nun ganz locker im Kilt, mit dem Enkel nach Amerika reist… Bauer hat außerdem für Regie und das nicht ungeschickte Bühnenbild (mit einer Menge verschiedener Schauplätze) gesorgt, und über die humoristisch wild ausgespielten Ressentiments der Amerikaner gegen England und umgekehrt darf gelacht werden, das ist weit genug entfernt, um nicht zu schmerzen.

Dass Cedric Errol, der kleine Held der Geschichte, acht Jahre als ist, kann man im Kino realisieren, auf dem Theater vergessen. Die sozialen Argumente, die hier ein armer US-Teenager einem reichen alten englischen Lord entgegenhält, und das mit der frechen Unbekümmertheit heutiger Jugend tut, wirken irgendwie glaubhaft. Man hört zu – und damit ist die Botschaft abgegeben.

Man erlebt diesen Cedric (Niklas Doddo, frisch und nett) erst im Umkreis seiner amerikanischen Freunde, denen es finanziell dreckig geht: Gerade darum rücken Mr. Hobbs mit seinem Tante-Emma-Laden (Frank Engelhardt als eine der überzeugendsten Figuren des Abends), der Zeitungsausträger Dick Tipton (ein bisschen allzu laut: Marius Zernatto) und Cedric ganz dick zusammen. Freunde, die sich auf einander verlassen können. Dann kommt die Nachricht, dass Cedric als einziger Enkel und künftiger „kleiner“ Lord Fauntleroy zum reichen, aber hartherzigen Großvater auf dessen schottisches Schloß kommen soll. Die freundliche Mama (Pia Baresch) will nur das Beste für den Sohn – und bewahrt stolz den Charakter der Armen, die sich nicht kaufen lassen…

Auf der englischen Seite walten dann der alte Lord, den Florian Stohr im Rollstuhl ohne die große Aura des wahren Aristokraten spielt, die Hausdame des Earls (Sabrina Rupp, die am Beispiel des kleinen Cedric lernt, ihre Ehrfurcht vor dem Adel über Bord zu werfen) – und vor allem der „Bösewicht“ der Geschichte: Bedenkt man, dass Matthias Mamedof vor gar nicht so langer Zeit der wendige Junge auf den Bühnen war, ist der intrigante Mr. Havisham für ihn der Weg in ein neues Fach. Er hat viel Talent für die Ehrbarkeitsfassade, die nur selten bröckelt.

Wenn dann eine Erbschleicherin (Aline-Sarah Kunisch) mit unerträglichem Sohn (wieder Sabrina Rupp, als Fratz nicht zu erkennen) auftaucht, überdreht der Regisseur die ohnedies schon sehr vordergründig aufgemotzte Inszenierung bis zum dummen Kinderschwank. Dass diese Geschichte hier und heute spielen könnte, passt natürlich von vorn und hinten nicht – aber darauf kommt es nicht an. Die Effekte des Werks – von der fröhlichen Respektlosigkeit den Autoritäten gegenüber bis zum blanken Kitsch – ergeben allemale einen legitimen Kindertheater-Abend.

Renate Wagner

 

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