WIEN / Photoinstitut Bonartes:
THEATER FÜR DIE KAMERA
Fotografische Passionen des Hofschauspielers Hugo Thimig
Vom 23. Februar 2024 bis zum 31. Mai 2024
Scherzkeks und Medien-Fuzzi
Dass die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht, galt zu Schillers Zeiten (von dem dieser Spruch stammt) zweifellos. Wie kam ein Schauspieler damals bildlich über den engen Rahmen eines Theaterabends hinaus? Bestenfalls mit einem Gemälde, meist nur mit einer Kupferstich-Silhouette, nicht mehr. Das änderte sich schlagartig mit der Erfindung der Fotografie. Nun konnte man nicht nur das echte Gesicht eines Schauspielers sehen, sondern viele, viele davon, denn das Herstellen eines Bildes ging verhältnismäßig schnell. Und es gab kluge Köpfe, die sich das zunutze machten – zur eigenen Freude, aber auch zur eigenen Propaganda. Einer davon war der große Hugo Thimig, dem das Photoinstitut Bonartes nun eine hinreißende Ausstellung widmet.
Von Renate Wagner
Hugo Thimig Er war gebürtiger Sachse (* 16. Juni 1854 in Dresden) und später nicht der einzige Deutsche, der Burgtheaterdirektor wurde, aber zu diesem Zeitpunkt gehörte Hugo Thimig, der 20jährig als Schauspieler nach Wien gekommen war, schon vollkommen in diese Stadt, für die er bis heute als Begründer einer großen Schauspielerdynastie gilt. Nur eines seiner vier Kinder, der Sohn Fritz, verschmähte den Schauspieler-Beruf, die Tochter Helene und die Söhne Hermann und Hans traten in seine Fußstapfen. Thimig war am Burgtheater ein vielseitiger, beim Publikum sehr beliebter Schauspieler mit dem Schwerpunkt Humor, er war Regisseur und, wie erwähnt, von 1912 bis 1917 Direktor des Hauses (und verhinderte im Krieg dessen Schließung). Nach seiner Pensionierung war er an der Seite seiner Kinder auch des öfteren im Theater in der Josefstadt seines späteren Schwiegersohnes Max Reinhardt zu sehen. Nach dem Tod seiner geliebten Gattin wollte Hugo Thimig nicht mehr leben und wählte am 24. September 1944 in Wien nach einem 90jährigen, erfolgreichen Leben den Freitod.
Die Rolle der Fotografie Die neue Kunst der Fotografie stürzte sich geradezu auf die Künstler. Thimig war nicht der einzige Burgtheater-Star, der in die Ateliers der Fotografen (vor allem Otto Schmidt, Wenzl Weis, Wilhelm Wilfinger und Trude Fleischmann) pilgerte, um dort in seinen Rollen (sprich: in Kostüm und Maske) abgelichtet zu werden. Künstlerfotos waren begehrte Handels- und Sammelobjekte, wobei sich das Angebot immer verfeinerte. So gab es eine Serie, die Schauspieler „am Bühnentürl“ zeigte, das heißt, man lauerte ihnen auf, wenn sie aus dem Theater kamen, und machte Bilder – eine frühe Form des Paparazzitums. Als die Zeitungen und Zeitschriften immer mehr Fotos brachten, wurden auch Home-Stories bei berühmten Schauspielern üblich – da sah man Thimig in der Funktion, die er als wichtigste seines Lebens betrachtete: als Sammler.
Zwischen Privatleben und Beruf Hugo Thimig erkannte nicht nur sehr bald die Rolle der Fotografie für seine Selbstdarstellung als Schauspieler und ging damit (etwa mit hoch interessanten serienmäßigen Ausdrucksstudien) weit über die üblichen „Künstlerpostkarten“ hinaus – sein wissenschaftliches Interesse, das ihn auch als Sammler auszeichnete, kam auch hier zur Geltung. Daneben aber war er selbst ein leidenschaftlicher Fotograf und stellte für Familienfotos immer wieder seine Kinder „inszeniert“ in den Mittelpunkt der Bilder. „Die Thimigs“ präsentierten sich als solche, als die Kinder zu den bekannten Schauspiellern herangewachsen waren – das berühmte Bild von Trude Fleischmann, das den Vater umgeben von Hans, Hermann und Helene zeigt, ist zahllose Male reproduziert worden. Thimig wusste sehr wohl, was Fotografie medial bedeutete, und er setzte sie bewusst, gekonnt und reichlich für sich und seine Familie ein. Immer wieder waren die Thimigs Titelbildstars von Zeitschriften, was für ihre Popularität zeugte.
Der Scherzkeks Thimigs Humor war bekannt und er zeigte ihn auch in seiner Eigenschaft als Fotograf. So liebte er etwa die Fotos mit Mehrfachbelichtung, wo er sich selbst auf einer Platte in verschiedenen Verkleidungen nebeneinander zeigt. Das köstlichste Bild dieser Art (es ist gleich beim Eingang der Ausstellung zu sehen) nennt sich „Auf der IV. Galerie bei ?Iphigenie?“ Diese „Vierte Galerie“ des Burgtheaters (Max Reinhardt schrieb, er sei dort „aufgewachsen“!) war legendär, sie sicherte, dass nicht nur Adelige in den Logen und reiche Bürger im Parkett saßen, sondern auch einfache Leute in den Genuß der damals legendären Schauspieler kamen. Thimig stellte sich da von links nach rechts als freundlich Zweifelnder, strahlend Lachender, als auf die beiden entrüstet reagierende Dame und als schwer gelangweilter Zuschauer dar – ein Meisterstück in Form und Inhalt. Vor allem präsentiert sich Hugo Thimig hier als der Verwandler, als welcher er berühmt war. Gleichfalls groß ist gleich als erster Eindruck der Präsentation der doppelte Thimig zu sehen – als unbeschwerter Schauspieler links, als streng ins Buch blickender Regisseur rechts. Es gibt unzählige Beispiele für diese Mehrfachbelichtungen, die nicht nur zeigen, wie viel Spaß dies Thimig machte, sondern auch, wie viel Ideenreichtum und wohl auch Mühe er darauf aufwendete. Die Kamera war für den ewigen Schauspieler ein weiterer Ort, „Theater“ zu machen.
Der Sammler Hugo Thimig hat Zeit seines Lebens Memorabilia zum Thema Theater gesammelt, am Ende waren es 120.000 Objekte, die er 1922 an die Nationalbibliothek verkaufte. Heute bilden sie den Grundstock der Besitztümer der Theatersammlung. Ebenso gewissenhaft, liebevoll und sorgsam ging er mit seinen Fotos um. Die Thimigs besaßen eine Villa in Währing und ein Landhaus in dem Dorf Wildalpen in der Steiermark, wo die Familie die Ferien verbrachte und Hugo vor allem der Fotografie frönte. Die Wiener Villa erbten Hermann und seine Gattin, die gleichfalls berühmte Schauspielerin Vilma Degischer, das Haus in Wildalpen ging an Sohn Hans. (Tochter Helene war damals mit Max Reinhardt im Exil in den USA.) Als die Töchter von Hans vor einigen Jahren Wildalpen aufließen, kamen schier zahllose Kisten mit Fotografien, von Hugo sorglich in Kuverts aufbewahrt und penibel beschriftet, zum Vorschein. Sie gingen an das Photoinstitut Bonartes, die beste Adresse für historische Fotografie und ihre wissenschaftliche Aufarbeitung, wo Michael Ponstingl nun diese wunderbar vielfältige Ausstellung gestaltet und mit einem unverzichtbaren Katalog versehen hat. Das ist Theater-, Zeit- und Familiengeschichte zugleich und die Huldigung an eine Persönlichkeit, die mehr war als nur der „Vater“ dreier berühmter Kinder.
Photoinstitut Bonartes, Wien 1, Seilerstätte 22
THEATER FÜR DIE KAMERA
Fotografische Passionen des Hofschauspielers Hugo Thimig
Vom 23. Februar 2024 bis zum 31. Mai 2024
Besuch nach Voranmeldung unter 01/236 02 93-40