WIEN / Photoinstitut Bonartes:
TÄNZE DES LASTERS, DES GRAUENS UND DER EKSTASE.
ANITA BERBER IN WIEN 1922
Vom 25. August 2023 bis zum 17. November 2023
Der Körper als Herausforderung
Heutzutage stellen Behinderte sich in „mutigen Performances“ nackt aus, ernten Preise dafür, und niemand wird sich darüber erregen (oder wenn, wird er es wohlweislich für sich behalten). Vor hundert Jahren war das noch anders, da gab es noch ein Potential der (ehrlichen?) Entrüstung über Abweichendes, so, wie es die Tänzerin Anita Berber repräsentierte, die bei ihrem Sensationsgastspiel das Stadtgespräch in Wien war.
Von Renate Wagner
Die Berber – eine Erregung Das Aufsehen, das Anita Berbers Auftreten im November 1922 in Wien erzeugte, ist nun Thema einer Ausstellung im Fotoinstitut Bonartes. Schließlich kann (mit Ausnahme weniger kurzer Filmdokumente) nur die Fotografie nachvollziehen, was diese Frau damals bedeutete.
Alles andere als bürgerlich Anita Berber wurde 1899 in Leipzig geboren und starb, gerade 29jährig an der Folge ihrer Drogensucht 1928 in Berlin. Bürgerliche Herkunft und Erziehung schafften es nicht, aus ihr ein braves, angepasste Frauchen zu machen. Schon im Jugendalter verschrieb sie sich dem Tanz, aber nicht im Rahmen eines Ensembles, sondern als Solistin, die sich selbst verkaufte und durch ihre Exzentrik auf sich aufmerksam machte. Und das gleicherweise auf der Bühne wie privat. Sie war immer eine Ausnahmeerscheinung, die zu konterfeien bald auch für die berühmten Maler der Zeit (etwa Otto Dix) interessant wurde.
Die Hemmungslosigkeit der Epoche Tatsächlich verkörperte die Berber die Hemmungslosigkeit der Zwanziger Jahre, dieser Epoche der Zerstörung, wie kaum eine andere – Laster, Grauen und Ekstase waren Schlagworte, mit denen man damals (und heute?) ins Schwarze traf. Schlank und rank und sexy sprach Anita Berber in ihrer androgynen Ausstrahlung Männer wie Frauen an (hatte neben drei Ehemännern auch lesbische Beziehungen), und sie verherrlichte in Tänzen, die explizit „Kokain“ oder „Morphium“ genannt waren, auch die Rauschgiftsucht. Sadomaso und Todessehnsucht flirrten durch ihre Produktionen. Sie repräsentierte glanzvoll und skandalumwittert den Zerstörungs- und Selbstzerstörungstrieb der Zeit. Sie bot das Schillernde des Negativen, den Reiz der Sünde. Kurz, die Berber musste man gesehen haben. Auch 1922 in Wien, wo sie mit ihrem Gatten Sebastian Droste in üppig ausgestalteten Tänzen auftrat – die Ausstellung reflektiert auch den Medienhype der Zeit, der sich (es gab viel mehr gedruckte Zeitungen) mit jenem heutzutage vergleichsweise durchaus messen kann.
Vor der Kamera von Madame d’Ora Wie jeder „Promi“, der auf sich hält, ging auch Anita Berber in das berühmte Foto-Atelier der Madame dOra, die nicht nur konventionelle Porträts und Familienfotos machte, sondern auch so wagemutig war wie manche ihrer Modelle. Die 16 Bildnisse, die sie von Berber (und ihrem Partner) in verschiedenen Kostümen und Posen schoß, sind Zentrum der Ausstellung und auch in dem Katalog abgebildet, der mit reichem Material festhält, wie die Berber ihren Körper der Mitwelt als Herausforderung entgegen schleuderte…
Photoinstitut Bonartes,
Seilerstätte 22, A-1010 Wien
Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase.
Anita Berber in Wien 1922
25. August bis 17. November 2023
Besuch nach Voranmeldung unter 01/ 236 02 93-40 oder via E-Mail info@bonartes.org
Es gibt einen von Kuratorin Magdalena Vuković heraus gegebenen Katalog