WIEN – NEW YORK / Metropolitan Opera /Die Met im Kino:
WOZZECK von Alban Berg
11. Jänner 2020
Die Metropolitan Opera in New York hat nun jene Produktion von Alban Bergs „Wozzeck“ übernommen, die einen schon nicht ganz glücklich gemacht hat, als man sie 2017 bei den Salzburger Festspielen sah. Natürlich ist William Kentridge ein bedeutender bildender Künstler, aber genau darin liegt das Problem der Aufführung. Er hat seiner Ideenfülle, Bergs Oper zu „bebildern“, nicht die geringsten Schranken auferlegt, er hat ganz einfach die Ausstattung zum Konzept gemacht. In einem Bühnenbild mit fester Einheitsstruktur, das dennoch ununterbrochen anders aussieht, da eine nie endende Folge von Videoprojektionen Bild und Stimmung dauernd verändern, versinken die Figuren des Geschehens nahezu in Bedeutungslosigkeit.
Gewiß hatte man es als Zuseher im bequemen Wiener Kinosessel in Richtung „Met“ weit leichter als einst im Haus für Mozart. Während man beim Live-Eindruck durch Dauerablenkung oft nicht wusste, wo man die Protagonisten in der voll zugemüllten Bühne (Sabine Theunissen) suchen und finden sollte, übernahmen das nun die Kameras. Es machte die Übersicht leichter. Dennoch war der Eindruck von dieser Wozzeck Horror-Picture-Show ein ähnlicher. Besonders die konzertanten Passagen des Werks wurden zur Hintergrundmusik für eine sich selbst bestätigende Bilderflut genommen. Und wo blieb die Geschichte?
Kentridge hat ein Ambiente gewählt, das vom Ersten Weltkrieg erzählt, es gibt viele unscheinbare Uniformen aus dieser Zeit, und ja, es ist eindrucksvoll, wie man hier durch ein optisches Schlachtfeld geschickt wird, in dem weniger mehr wäre, es aber nur noch und noch mehr gibt: Immer wieder schickt Kentridge alte Stummfilme über diverse Leinwände (gleich zu Beginn führt Wozzeck dem Hauptmann einen Film vor, statt ihn zu rasieren), kombiniert seine Zeichnungen mit Computer-Kunst. Als „Performance“ wäre man hoch beeindruckt – fände „nebenbei“ nicht auch noch „Wozzeck“ statt. Immer irgendwo am Rande. Ganz weit abseits der Menschen-Realität, die an diesen Schicksalen ergreift.
Dieses Manko zeigt sich auch an der Entscheidung, das Kind von Wozzeck und Marie mit einer „Puppe“ zu besetzen (das gelang in der New Yorker „Butterfly“-Inszenierung viel besser): Wenn da (ganz im Habjan-Stil) eine grottenhäßliche Handpuppe von Marie angesungen wird, ist das nur befremdlich – und das herzzerreißende Ende, „Deine Mutter ist tot“, wirkt nur, wenn da ein verblüfftes kleines Kind steht, das weiter spielt… und nicht, wenn ein Puppenkopf ins Publikum starrt, der wirkt, als trüge er eine Gasmaske und dem man eine Soldatenmütze aufgesetzt hat…
Peter Mattei, der einen so hoheitsvollen, zynisch-eleganten Don Giovanni abgibt, ist ein Wozzeck der besonderen Art. Abgesehen von der exzellenten deutschen Aussprache des Schweden, fasziniert sein „Anderssein“ – nicht die arme, geschundene Kreatur, das herumgestoßene Opfer, wie man ihn so oft gesehen hat. Sondern ein völlig in sich verschlossener, verbohrter, manischer Mann, der auch so singt. Eine wirklich erkennbare psychologische Linie der Figur ist natürlich nicht auszumachen, weil Kentridge ja keine Geschichte erzählt: Aber Matteis Präsenz ist bestechend und stark.
Weit weniger überzeugt Elza van den Heever (die schon im Theater an der Wien so gar keine stimmige „Vestalin“ abgegeben hat): Auch da hakt es an der Regie. Das Kleid ist zwar rot, aber hoch geschlossen, darüber eine Schürze, das Haar brav zurückgebunden – eine aus dem Kloster kommende Nonne könnte so aussehen, nicht die Frau, die so verzweifelt nach Leben giert (Kostüme: Greta Goiris), Sie singt tadellos, aber vielleicht zu schön, zu unengagiert für das, was diese Marie verkörpert.
Als einziger von der Salzburger Inszenierung ist Gerhard Siegel als Hauptmann übrig geblieben. Der Doktor (der sich schon so viele Interpretationen gefallen lassen musste) ist in Gestalt von Christian Van Horn fast parodistisch grotesk. Man freut sich, Christopher Ventris engagiert (sprich: heftig herumrudernd) als Tambourmajor zu sehen, aber der Mann ist wirklich größere Rollen wert. Andrew Staples und Tamara Mumford als Andres und Margret kamen dank der Kameraarbeit gelegentlich zur Geltung, wer den Narren gesungen hat, ist nirgends nachzulesen.
Yannick Nézet-Séguin betonte in gleich zwei Interviews, wie besonders, grandios und komplex diese Partitur sei. Keine Frage, dass er, das Orchester und Bergs Musik durch die Inszenierung schlicht und einfach in den Hintergrund gedrückt wurden, bei allen – auch erfolgreichen – Bemühungen um Intensität.
Übrigens: Der Opernfreund mag sich an James Levine erinnern, der diese Oper besonders liebte, der Dirigent, der alles konnte, den die Met auf Händen getragen hat und der nun dermaßen der „damnatio memoriae“ anheim gefallen ist, als hätte es ihn nie gegeben. Wie mittlerweile auch Placido Domingo, der in den Werbefilmen, die vor den Met-Vorstellungen stets ablaufen, vielfach unter den Superstars vertreten war. Mittlerweile ist er herausgeschnitten, verschwunden, als Erinnerung vernichtet. Eine seltsame Welt, in der wir leben.
Renate Wagner