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WIEN – NEW YORK / Die Met im Kino: CENDRILLON

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 Fotos: Metropolitan Opera

WIEN – NEW YORK /  Die Met im Kino:
CENDRILLON von Jules Massenet
1. Jänner 2022 

Nur sehr wenige Opernfreunde hatten Lust, das neue Jahr in der Met zu beginnen, der große Saal des Village-Kinos war gähnend „unterbesetzt“. Und das war aus mehreren Gründen schade.

Erstens fand die Vorstellung statt, was potentiellen Besuchern, die sich an diesem Abend auf eine „Fledermaus“ der Wiener Staatsoper gefreut haben mögen, nicht vergönnt war. Ein Omikron-Cluster kam da dazwischen.

Zweitens brauchte man im Kino keinen Test, dreimal geimpft („Booster“ heißt das schöne Wort) reichte, und das ganz schnelle Ausfüllen eines Zettels mit Namen und Telefonnummer. Kollege Peter Dusek an meiner Seite erzählt mir, dass er in die letzte „Tosca“ nicht gehen konnte, weil sein PCR-Test-Ergebnis nicht rechtzeitig angekommen war – nun überlegt er, wie er von Culturall den Kartenpreis zurück bekommt. Oder wird man mit „höhere Gewalt“ abwinken? Kann die Frau Kulturstadträtin dem Herrn Bürgermeister nicht klar machen, welch unzumutbare Härte es für Theater und Besucher bedeutet, einen 48-Stunden-PCR-Test beibringen zu müssen, der, abgesehen von den Unannehmlichkeiten des Erstellens (nicht jeder gurgelt vor seinem Smartphone flott vor sich hin und hat Billa nebenan…), mittlerweile meistens zu spät kommt? Wer soll sich eine teure Karte kaufen auf die Eventualität hin, in der Oper nicht hineingelassen zu werden?

Drittens musste man sich nicht um die Sperrstunde kümmern, denn die Met erstellte von sich aus eine eineinhalbstündige Fassung von Massenets „Cendrillon“. Allerdings nicht für die Wiener und die Würgeregeln der Stadtregierung, sondern weil man dort die Tradition des „Holiday Family Festival“ folgt und zwischen Weihnachten und Neujahr eine passende Oper auch kindergerecht „zusammen stutzt“ – also das, was die Wiener Staatsoper ja auch mit ihren Kinderopern-Aufführungen tut.

Alles zusammen ergab für die wenigen, die gekommen waren, einen unproblematischen, erquicklichen Theater- bzw. Opernabend – etwas, das man in Wien derzeit vergeblich suchen wird.

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Man kennt die „Cendrillon“-Aufführung der Met in der ursprünglichen Fassung mit Joyce DiDonato in der Titelrolle auf DVD. Und – auf Französisch. Für die „light“-Fassung ist man in New York auf die Landessprache umgestiegen, was allerdings nur Laurent Naouri, den einzigen Franzosen (und an diesem Abend der einzige Mann in einer großen Rolle) gestört haben könnte. Wenn dem so war, ließ er es nicht hören, er sang geradezu akzentfrei und fröhlich vor sich hin, wenn er seiner Rolle – vom Regisseur erlaubt – nicht auch ein paar berührend tragische Schatten hinzu fügte.

Bekanntlich ist „Cendrillon“ die französische Aschenputtel-Fassung, lyrischer als das italienische Pendant von Rossini, aber eine Oper von großem Zauber – und hier so geschickt auf eineinhalb Stunden gekürzt, dass nichts Wesentliches fehlte. Die Inszenierung von Laurent Pelly ist ein kleines Meisterstück in sich – ja, auch hier wird gelegentlich gehüpft, aber nicht wie bei Herbert Fritsch als affektierter Selbstzweck, sondern als Teil eines Stils, das dieses Märchen schon in der Körpersprache von der Realität abhebt. Viele Teile des Werks (etwa der Aufmarsch der Gäste beim Ball) ist schier gänzlich choreographisch gelöst, aber auch die Sänger finden zu einem fließenden Slapstick-Stil, der immer wieder amüsiert und Pointen setzt. Doch wenn es ernst wird, also wenn es um Cinderella und ihren Vater geht, dann wird alles ganz echt, einfach, wahr und menschlich.

Pelly arbeitet gern mit schlichten Bühnenbildern (Barbara de Limburg), weil er traditionellerweise selbst die Kostüme entwirft, wieder ein Fest der Farben und der Komik schon in den meist grotesken, die Charaktere unterstreichenden  Gewändern, nur die Hauptdarstellerin darf als armes Mädchen und als Prinzessin unkarikiert bleiben.

Es ist eine Aufführung, die alle Elemente geschmeidig in einander fügt und einen zauberhaften Gesamteindruck erzeugt – von den vier Pferdchen, die Cinderellas Wagen ziehen, ganz zu schweigen, die möchte man selbst gern streicheln.

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Die Met hat sich in Isabel Leonard einen hauseigenen Star herangezogen, der heute in der Weltklasse mitspielt. Es war damals noch jener James Levine, von dem heute niemand mehr etwas wissen will und der fast sein ganzes Leben und seine künstlerische Kraft dem Haus geschenkt hat, der immer wieder seine Assistenten nach „vis a vis“ im Lincoln Center, in die Juillard School, schickte, damit sie ihm die begabtesten Studenten brächten. Diese durften auf der Met-Bühne in den winzigsten Rollen beginnen – und haben sich zu großen Interpreten hinaufgearbeitet. Wie Isabel Leonard, eine Sängerin, die Charisma und Ausstrahlung, darstellerische Innigkeit und einen schön geführten Mezzo zu einem perfekten Gesamteindruck vereint. Man leidet mit der armen Person, die da grau in grau im Hintergrund bleiben muss, obwohl sie gar kein „Hascherl“ spielt, sondern nur eine unglückliche junge Frau. Und ihr Vater, besagter Laurent Naouri, leidet, weil er die reiche Frau mit ihren beiden unmöglichen Töchtern geheiratet und damit seine eigene Tochter ins Ascheneck verbannt hat, weil er zu schwach ist, sich durchzusetzen… Naouri, erst Mitte 50. spielt dennoch den bedrückten alten Mann und singt ihn mit einem zwar nicht übertrieben kraftvollen, aber ausdrucksvollen Bariton.

Humorbombe des Abends ist Stephanie Blythe als die böse Stiefmutter, in giftige Farben gekleidet und entsprechend giftig in der Aktion. Und urkomisch, weil sie – wie viele Dicke – sich ihrer Figur nicht schämt, sondern sie zu manch komischer Wirkung benützt. Zudem spielt sie sich mit den Möglichkeiten ihres Mezzos, der in Alt-Tiefen geht. Ihre zwei Töchter Momie (Jacqueline Echols) und Dorothy (Maya Lahyani) haben zwar nicht allzu viel zu singen, zappeln aber perfekt die dummen Gänse.

Der „Prince Charming“ der Geschichte hat im Gesamtgefüge nicht viel zu vermelden, aber Emily D’Angelo darf ihn als Studie eines trotzig-unglücklichen jungen Mannes interessant machen und lässt einen schönen, wirklich dunklen Mezzo hören.

Und da ist, als letzte Hauptrolle des Werks, noch die Fee, im Englischen als „Fairy Godmother“ (also Patin, vielleicht stand sie wie bei Dornröschen an der Wiege…) bezeichnet, die für Cinderella alles zum Guten wendet. Nur zwei Auftritte für Jessica Pratt, aber zumindest im ersten macht sie klar, dass sie derzeit eine der gefragten Koloraturdiven ist – so wie sie  die Töne perlen lassen kann, entzündet sie kurzfristig ein Feuerwerk.

Mit Maske vorm Gesicht dirigierte Emmanuel Villaume das Met-Orchester, schwungvoll, liebevoll, effektvoll, also das, was man sich wünscht. Das Publikum in der Met – angeblich mit vielen Kindern durchsetzt – war entzückt. Oper hat in diesem Fall die düstere Stimmung, in der wir alle dümpeln, zumindest für eineinhalb Stunden außer Kraft gesetzt.

Renate Wagner

 

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