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WIEN / Neue Oper Wien: DEATH IN VENICE

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Fotos: Neue Oper Wien

WIEN / Neue Oper Wien / Halle E im MuseumsQuartier:
DEATH IN VENICE von Benjamin Britten
Premiere: 7. Oktober 2021     

„Verzweiflung in Zeiten der Cholera“ – auch so könnte man Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ nennen, und da der Held Gustav von Aschenbach vermutlich nicht nur an gebrochenem Herzen, sondern auch an der Seuche stirbt, ist Benjamin Brittens Oper „Death in Venice“ plötzlich unerwartet aktuell. Denn von einer Pandemie versteht man ja auf einmal selbst etwas. Dass die Premiere der Inszenierung der Neuen Oper Wien im MuseumsQuartier mit zwanzigminütiger Verspätung beginnen musste, einfach weil das Kontrollieren der diversen Impf- und sonstigen Zertifikate so aufwendig war, ist verhältnismäßig eine Kleinigkeit, zeigt aber, wie schwierig das Leben durch die Präsenz einer Pandemie geworden ist.

Brittens Oper ist in Wien bekannt, zuletzt hat man sie 2009 im Theater an der Wien gesehen, es gibt einige Versionen auf DVD. Es ist in der ersten Hälfte ein sehr elegantes, musikalisch auch eher zurückhaltendes Werk, bevor sich im zweiten Teil die Dramatik in der Musik und auch im Geschehen steigert. Immer wieder ragen Einzelinstrumente solistisch aus der raffinierten Partitur hervor, und Walter Kobéra, der Leiter der Neuen Oper Wien, hat am Pult des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich sehr feine Arbeit geleistet.

Vom Inhalt her ist das Werk ein Seelendrama, das sich um die Nöte eines Künstlers rankt, der zu Beginn an Leere und Mangel an Elan vital leidet, nach Venedig reist, dort einen halbwüchsigen polnischen Jungen erblickt, in den er sich rasend verliebt, und durch diese Liebe, die weder ausgedrückt noch gar ausgelebt werden darf, quasi vor den Augen der Zuschauer zerfällt. Dieser Gustav von Aschenbach ist immer präsent, 17 Szenen lang, mit durchaus anspruchsvollem Text, inhaltsschwer und philosophisch. Durch den Gesang versteht man das Englische nur völlig, wenn man die Übersetzung mitliest (auf seitlichen Bildschirmen hier sehr gut gelöst). Dann aber schlüpft man detailliert in die Geschichte, die zwischen Realität und deren Entgleiten changiert.

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Die Inszenierung von Christoph Zauner ist schlicht, nur ein paar Stege befinden sich auf der Bühne (Christof Cremer), Schauplätze gibt es keine, etwas Farbe kommt durch die Lichtregie und gelegentlich durch die Kostüme. Das erzielt  eine größtmögliche Konzentration auf die Hauptperson, hat aber doch das Manko, dass Venedig überhaupt nicht mitspielt. Und es wäre doch in so vielen Facetten da – das mondäne Venedig im Hotel, am Strand, das unheimliche Venedig der herumstreifenden Kriminellen, das bedrängende  Venedig der Leute, die Touristen ausbeuten, und schließlich das tödliche Venedig der Cholera. Man verlangt ja kein Kino, aber in diesem Fall könnte man sich sogar diskrete stimmungsstarke Videos vorstellen…

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Im Zentrum des Geschehens steht Alexander Kaimbacher als Aschenbach und meistert die ungewöhnlich schwierige Aufgabe fulminant. Er geht den Weg des depressiven Künstlers (trotz der Schreibmaschine auf den Knien wirkt er anfangs wie ein müder Faust in der Studierstube) durch die Ratlosigkeit des Mannes, der eigentlich nicht weiß, was er in Venedig sucht. Der Moment (im ersten Finale), wo ihn die Leidenschaft zu dem polnischen Knaben buchstäblich körperlich umwirft, ist faszinierend. In der Folge sind dann nur noch Stationen sich steigernder Verzweiflung zu spielen und zu singen, kein Trost in der Philosophie, nur verzehrendes Sehnen. Das haben Thomas Mann und Benjamin Britten beide aus eigener Erfahrung verdichtet. Kaimbacher singt die Rolle ohne Ermüdungserscheinungen, und er erwandert, erlebt, gestaltet sie in allen Entwicklungsstufen.

So unheimlich, so dämonisch, wie er sein soll, singt und spielt Andreas Jankowitsch nicht nur den „Traveller“ (der Reisende, der Aschenbach auf Reisen schickt), sondern viele reale und irreale Personen des Geschehens, die allerdings nie auf der „guten“ Seite stehen. Aus dem Ensemble ragt noch Ray Chenez mit unaufdringlichem Countertenor in der irrealen Funktion der „Voice of Apollo“ aus dem Geschehen heraus. Tadzio ist hier nicht, wie man ihn aus dem Visconti-Film kennt, der blond gelockte Jüngling, sondern mit dem Tänzer Rafael Lesage älter und dunkler besetzt. Wie faszinierend er auf Männer wirken kann, mögen diese beurteilen. Der Wiener Kammerchor stellt das nötige „Personal“ des Geschehens.

Der große Saal des MuseumsQuartiers war erfreulich dicht gefüllt, der Applaus nach einem (durch die Verspätung zusätzlich) doch sehr langen Abend (3 Stunden Spielzeit) immer noch ehrlich und herzlich.

Renate Wagner

 

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