Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Neue Oper Wien: DAS GESICHT IM SPIEGEL

  gesichz im spieegel.jpg 2 x~1

Foto: Neue Oper Wien

WIEN / Neue Oper Wien im MuseumsQuartier:
DAS GESICHT IM SPIEGEL von Jörg Widmann
Österreichische Erstaufführung
12. September 2022 

Das Thema fasziniert seit Menschengedenken: Dass der Mensch Gott sein könnte, selbst Schöpfer eines künstlichen Menschen – von Homunculus bis Frankenstein ist das allerdings schrecklich schief gegangen. Immerhin sind wir heute noch in der Wissenschaft (wenn auch ziemlich geheim) damit beschäftigt – der künstliche Mensch entweder als Ersatzteillager (2010 in dem Film „Alles, was wir geben mussten“ im Kino) oder der Roboter als Mensch, der besser ist als das Original (zuletzt 2021 hervorragend durchgedacht in dem Film „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader).

Die Variationen des Themas werden immer wieder auftauchen, und die Oper „Das Gesicht im Spiegel“ des deutschen Komponisten Jörg Widmann (*1973) ist eine davon, Dass er das Werk bereits als Dreißigjähriger geschaffen hat und es 19 Jahre dauerte, bis es zur Österreichischen Erstaufführung kam, schadet in diesem Fall nichts – das Thema ist zeitlos, und Widmanns extreme Musiksprache ist es auch.

Nun ist es allerdings keine simple Geschichte, die mit einem Börsenkrach beginnt: Dann wollen die Geschäftsleute Pamela und Bruno den Menschenklon, den ihnen der Wissenschaftler Milton geschaffen hat, schnell auf den Markt bringen und viel Geld damit verdienen. Aber wie das Leben so spielt – „Justine“, Pamela nachgestaltet, aber jünger, schöner und netter als das Original, entwickelt nicht nur selbst Gefühle, sondern macht auch beide Männer in sich verliebt. Das ergibt dramatische Turbulenzen und geht nicht gut aus – und ist als so simple Geschichte auch nicht wirklich zu erkennen.

Das liegt erstens darin, dass das Libretto von Roland Schimmelpfennig (Theaterfreunden leidvoll bekannt)  stammt, der alles andere als eine „realistische“ Textbasis geschaffen hat. Vielmehr reiht er (da ist dann ein Allzweck-Chor zuständig, der sich vielfach verwandelt) oft nur Begriffe der zeitgenössischen Welt an einander (die waren 2003 schon großteils dieselben wie heute, wenn es um Börse und Geschäftswelt geht), und auch „menschliche“ Texte sind lapidar und stereotyp. Kurz, es ist einerseits eine Horrorgeschichte, die sich (wenn sie ein bisschen zugänglicher wäre) auch im Kino gut machen würde, andererseits grundlegend so absurd, dass man gewissermaßen alles damit machen kann.

Das hat Regisseur Carlos Wagner in einer Ausstattung von Christof Cremer auch getan. Ein schlichtes Bühnenbild aus Wänden kann mit Hilfe von Licht, Farbe und Projektionen in alles verwandelt werden, was man sich wünscht, und die Kostüme unterstreichen das Abstrakte, das Ritualisierte, das die Inszenierung immer wieder betont. Auch die angeblichen Echtmenschen sind Kunstgeschöpfe, Wenn man handlungsmäßig auch nicht alles erkennen kann, was die Inhaltsangabe im Programmheft erzählt, macht das nicht viel aus, weil die Geschichte im Großen und Ganzen erkennbar ist und die Atmosphäre „gruselig“ stimmt.

Noch exzentrischer als der Text ist Widmanns Musik, die sich mit Gewalt ins Ohr des Zuhörers bohrt. Das amadeus ensemble-wien muss unter der immer bewährten Leitung des seit Jahrzehnten unbeirrbar und bewundernswert waltenden Walter Kobéra noch mehr leisten als sonst, denn der Komponist fordert nicht nur „Musik“, sondern auch Geräusche, fordert von den Instrumenten so viel Quälendes wie von den menschlichen Stimmen.

Da leisten vor allem die beiden Damen Ungeheures, Roxane Choux als Patrizia und Ana Catarina Caseiro als Justine (sie sieht man erst am Ende, vorher wird Justine von einem Kind und dann von einer Tänzerin verkörpert). Nicht nur Gesang bis in die höchsten, kaum mehr erträgliche Höhen ist gefordert, auch Keuchen, Krächzen, Verhauchen, technische Kunststücke erster Ordnung.

Da haben es die Männer, Wolfgang Resch als Bruno und Georg Klimbacher als Milton ein wenig leichter, weil „normaler“, während sie darstellerisch die Opfer der starken Frauen bleiben. Glänzend auch der Chor, der in immer neuer Verkleidung erscheint – Damen des Wiener Kammerchors unter der Leitung von Bernhard Jaretz  exekutieren dies perfekt.

Es ist, sagen wir es offen, alles andere als ein Ohrenschmaus, der den Besucher hier erwartet. Aber eine spannende zweiständige (pausenlose) Variation eines immer relevanten Themas. Das nicht vollständig, aber zahlreich erschienene Publikum klatschte überzeugt, wenn auch nicht wirklich enthusiastisch.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken