Alle Fotos: Renate Wagner
WIEN / Nationalbibliothek / Prunksaal:
WIEN WIRD WELTSTADT
DIE RINGSTRASSE UND IHRE ZEIT
Vom 21. Mai 2015 bis zum 1. November 2015
Glanz und Elend
Vor 150 Jahren, am 1. Mai 1865, wurde die Wiener Ringstraße feierlich „eröffnet“, obwohl sie nur zum kleinsten Teil fertig gestellt war und die Bauarbeiten noch Jahrzehnte dauern sollten. Dennoch ist es ein Datum, das heuer nicht nur zwischen Buchdeckeln, sondern auch in Wiens Museen große Beachtung findet. Das Jüdische Museum hat bereits den Charakter der Ringstraße als „Jüdischen Boulevard“ behandelt (zu sehen noch bis 4. Oktober), das Wien Museum wird sich ab 11. Juni mit den „Pionierjahren einer Prachtstraße“ dazu gesellen, und die Österreichische Nationalbibliothek widmet sich in ihrem Prunksaal nun der breit gefächerten Betrachtung, wie Wien durch die Sprengung seiner räumlichen Enge und der Entfernung der Stadtmauern zur „Weltstadt“ wurde…
Von Renate Wagner
Eine Mauer um die Stadt Als zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Türken kamen (und damals noch zurückgeschlagen werden konnten), war eine Stadtmauer und eine davor liegende freie Fläche (in Wien hieß sie „das Glacis“) eine militärische Notwendigkeit, um kriegerischen Angriffen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Diese Stadtmauern, die sich um Wien – und das war der heutige Erste Bezirk! – schlossen, sollten schon früher entfernt werden, aber stets war es das Militär, das sich solchen Plänen entgegenstellte. Bis der Druck der „Moderne“, eines neuen Städtebaubegriffs, sogar bis Wien vordrang und Kaiser Franz Joseph 1857 den Bau der „Ringstraße“ als seinen „Willen“ kundtat. Die Ausstellung in der Nationalbibliothek hat nun in ihrem Zentrum, rund um die Statue von Kaiser Karl VI., das „Höller-Panorama“ aufgestellt, ein sonst in 13 Teilen aufbewahrtes Aquarell, das hier nun so zu umrunden ist, wie die Stadt von der Mauer umrundet und wahrlich eingeschlossen war. Die Stadttore, von denen es hier nicht nur gemalte, sondern auch fotografische Zeugnisse gibt, waren die Schleusen, durch die sich der Verkehr zwischen „Stadt“ und Vorstädten, die mittlerweile „eingemeindet“ waren, abspielte.
Abschied von „Alt Wien“ Dieses Wien innerhalb der Stadtmauern war noch während es bestand als „Alt Wien“ ein Mythos, und mit der „Demolierung zur Großstadt“, wie Karl Kraus es nannte, hieß es, sich davon zu verabschieden, und viele Zeitzeugenberichte (ernst und satirisch) reflektieren die ambivalenten Gefühle. Die Weichen für die neue Zeit waren allerdings längst gestellt – mit Industrialisierung, neuen Verkehrsmitteln, einer schnelleren Welt, die sich der heutigen anglich: Die Schattenseiten der „Gründerzeit“ zeigten sich, wenn Bankiers wie Johann Placht, der später bankrott ging und wegen betrügerischer Krida im Gefängnis landete, das „große Geld“ boten, das sich nicht realisierte (weil es, wie später bei Bernie Madoff, nicht erwirtschaftet, sondern nur auf Kosten der Kunden akkumuliert wurde, bis das System zusammen brach).
Prunkbauten, Ereignisse, Katastrophen In der Nationalbibliothek „spitzt“ die von Michaela Pfundner kuratierte Ausstellung in 17 Teilbereichen Themen an. Das bezieht sich sowohl auf die Errichtung gewisser besonderer Bauten (vor allem der Hofoper und ihrer Problematik, des „zu tief Liegens“, was auch den Satirikern reiches Material lieferte) wie auch auf Großereignisse (die Weltausstellung von 1873, der glanzvolle Makart-Festzug zur Silberhochzeit des Kaiserpaares 1879) oder Katastrophen: Mit dem Ringtheater auf dem Schottenring gab es ein Historismus-Prachttheater, dessen grauenvoller Brand (1881) bis heute die Gesetze von Theaterbauten hierzulande bestimmt (etwa, dass alle Türen nach außen aufgehen müssen). Interessant übrigens, dass sich außer der Votivkirche kein Kirchenbau auf dem Ringstraßen-Areal findet.
Der „inszenierte“ Raum Die Ringstraße als „inszenierter Raum“ war das Sammelsurium der Stile, derer sich der Historismus bediente – das Parlament als griechischer Tempel, das Rathaus in Gotik, Burgtheater und Universität „in Renaissance“, und ganz hinten durfte Otto Wagner die Postsparkasse dann im modernen Jugendstil bauen… Abgesehen von den Nobelpalais der Privatleute, die hier entstanden, war die Ringstraße der Boulevard der „Reichen und Schönen“, die sich zum Sehen und Gesehen-werden drängten, wie ihre Vorfahren zwei Generationen früher zu gleichem Zweck am Glacis spaziert waren…
Die wahren Helden der Ringstraße Die Welt, in der wir leben, richtet ihren Blick aber nicht ausschließlich auf die Prominenz, obwohl sie selbstverständlich in der Ausstellung reich vertreten ist: Schließlich wurde „Ringstraßenzeit“ auch zu Recht zum Synonym eines nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch geistigen Aufschwungs, wo die Wiener Wissenschaft und die Künste einen (von der jüdischen Bevölkerung stark mitgeprägten) Höhepunkt erreichten. Aber wer waren die Menschen, die diese Ringstraße im Grunde geschaffen haben, die in täglicher Arbeit (bis zu 18 Stunden arbeiteten Frauen und Männer „am Bau“, nachts zu Fackelschein) die Mauern abrissen, die Straße pflasterten, die Gebäude (alles allerdings aus der Imagination von Meisterarchitekten entstanden) errichteten? Es sind viele Zeugnisse auch über jene Menschen zu finden, denen die Nachwelt normalerweise keine Kränze flicht und die hier zumindest nicht vergessen wurden.
Bis 1. November 2015, bis Ende Mai täglich außer Montag, von Juni bis September täglich geöffnet, 10 bis 18 Uhr, an Donnerstagen bis 21 Uhr.
Der reich bebilderte Katalog ist im Metroverlag erschienen