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WIEN/Musikverein: Christoph von Dohnănyi mit einem fulminanten Philharmonischen Abonnement-Konzert zum „Neunziger“

Es ist noch lange nicht genug!

WIEN/Musikverein: Christoph von Dohnănyi mit einem fulminanten Philharmonischen Abonnement-Konzert zum „Neunziger“

Es ist noch lange nicht genug!

24.11. 2019 – Matinee  (Karl Masek)

Berits im September feierte Christoph von Dohnănyi den unglaublichen 90. Geburtstag. Einst Assistent von Sir George Solti, jüngster deutscher Generalmusikdirektor (in Lübeck), später als Chef in Frankfurt und Hamburg ein Modernist im Opernbetrieb. Debüt an der Wiener Staatsoper 1972 mit „Salome“ in der vielgescholtenen Direktion Rudolf Gamsjäger, bald  mit stilbildenden Premieren (Moses und Aron, schließlich in den 90er Jahren ein jedenfalls musikalisch gelungener „Ring“). Die Verbindung zu den Wiener Philharmonikern begann ebenfalls vor Jahrzehnten. Am Anfang war das Einvernehmen des Perfektionisten und „streitbaren Intellektuellen“ mit dem Orchester nicht immer friktionsfrei. Doch es folgte eine neue Musikergeneration.  Man fand (man stritt sich) zusammen. Zuletzt war aber wieder eine etliche Jahre dauernde künstlerische Funkstille …

Nun war es endlich wieder soweit. Der „Runde Geburtstag“ war wohl Anlass für eine Einladung durch das Orchester. Der vom Publikum mit großer Wiedersehensfreude besonders herzlich Begrüßte  stellte sich mit einem typischen Dohnănyi-Programm ein.

Es begann mit Atmospheres aus dem Jahr 1961 von György Ligeti. Das 9-Minuten-Werk war später der Filmsound für Stanley Kubricks Sience-Fiction-Film 2001 Odyssee im Weltraum.  Statische, zerklüftete, konturenlose  Klangbilder sind Ligetis berühmte „Riesen-Cluster“ und „Klanghaufen“, wie Ligeti sein eigenes Stück bezeichnet hat, in den Jahren der besonderen Angst vor einem III. Weltkrieg.  87 Instrumentalstimmen evozieren Bedrohlichkeit von den Kontrabässen ausgehend bis zu den in höchste Höhen kletternden Violinen und Piccoloföten. Das im Nichts endende Pianissimo geht nahtlos über in das ätherische A-Dur von Richard Wagners Vorspiel zum 1. Akt „Lohengrin“. Immer wieder ein atemberaubender Moment, dem ein klar strukturierter Aufbau des Klanggeschehens folgte. Kühle, gleichwohl irisierende Farben  stellte   Dohnănyi  mit innerer Ruhe aus, so als säße er an einer Staffelei und würde malen. Mit logischer Folgerichtigkeit eines schier unendlichen Crescendo-Decrescendo-Bogens entwickelten sich die Steigerungen, um in einem haargenau gleichen Pianissimo zu enden wie der Anfang mit den stratosphärischen Flageoletts der Violinen.

Spontaner Jubel für eine fulminante Wiedergabe durch einen ruhigen, gelassenen Philosophen und Intellektuellen – und einen Erzmusiker! Konkurrenzlos an diesem Vormittag die Klangzauberei der Wiener Philharmoniker!

Es ging weiter mit dem Violinkonzert des Alban Berg aus dem eigenen Todesjahr, 1935, „Dem Andenken eines Engels“. Dieser „Engel“ war Manon Gropius, die vergötterte Tochter von Alma Mahler-Werfel aus der Verbindung mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Sie starb  im Alter von 18 Jahren an Kinderlähmung. Alban Berg, der wie viele Prominente der damaligen Zeit im Salon der Alma Mahler aus und ein ging, zeigte sich vom Tod der Manon zutiefst erschüttert. Das Konzert sollte, wie das damals so überspannt bezeichnet wurde, ein „Kosmos der Psyche für ein ätherisches Wesen“ sein. Das zweisätzige, mit knapp 30 Minuten bemessene Werk war aber dann viel eher eine Art Lebensporträt der Manon Gropius. Es wurde ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Zwölftonmusik von erlesener Ästhetik und elementarer Ausdruckskraft sein kann. Eine schlichte Kärntner Melodie wird zitiert, Stellen „im Tempo eines Walzers“ sollen durchaus sanguinische Wesenszüge des Mädchens charakterisieren. Und im 2. Satz wird für „Sterben und Verklärung“ J.S. Bachs Choral Es ist genug aus der Kantate BWV 60 zitiert.  Zur vielkommentierten Vorliebe Bergs für Zahlenmystik nur so viel: Der Schlussakkord des Werkes besteht aus 18 Tönen…

Bildergebnis für rainer honeck philharmoniker
Rainer Honeck. Copyright: Wiener Philharmoniker

Rainer Honeck, seit 1981 1.Violinist der Wiener Philharmoniker und mittlerweile langjähriger Konzertmeister, war der wissende Solist und mit Dohnanyi auf interpretatorischer Augenhöhe. „Abenteuer im Kopf“ somit auch für alle im Auditorium, war dieses tiefe, dabei unsentimentale Eindringen in Bergs Klangwelten, die immer wieder „wienerischen Dialekt“ durchschimmern lassen. Beglückend, wie der Vorarlberger Honeck und der Berliner Dohnanyi diesen Dialekt verstehen und somit authentisch zum Klingen brachten. Die Kolleg/innen im Orchester gestalteten gleichgestimmt.

Schließlich die 3. Symphonie, F-Dur, op.90 von Johannes Brahms. Eine Mischung aus Kraft und Behutsamkeit war das, straff in den Tempi, auf schlanken, geschmeidigen Ton wurde Wert gelegt. Und nichts war schwerblütig, wie es uns ein unausrottbares Klischee über Brahms immer wieder einreden will (Damit stellte sich beim Rezensenten bei vergangenen Aufführungen mitunter ein gewisses Gefühl der Langeweile ein).  Den Brahms haben die Philharmoniker natürlich im kleinen Finger. Aber nichts klang nach Routine. Frisch waren die vielfältigen Orchesterfarben des Herbstes – aber die Blätter sind noch nicht abgefallen, daher auch keine Spur von modrigem Waldboden. Der satte Streicherchor, die fabelhaften Holzbläser, sie waren in ihrem Element.

Ovationen eines enthusiasmierten Publikums signalisierten dem „Philharmonischen Heimkehrer“, ganz im Gegensatz zum Bach-Choral: Es ist noch lange nicht genug!

Karl Masek

 

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