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WIEN/ Musikverein: „AN DIE NACHGEBORENEN“ – Kantate von Gottfried von Einem. Singverein, RSO/ Poschner

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Camilla Nylund. Copyright: Markus Hoffmann

WIEN / Musikverein: Einems Kantate „AN DIE NACHGEBORENEN“ / Wiener Singverein / ORF RSO Wien / Dirigent: Markus Poschner

23.2. 2018 – Karl Masek

Im musikalischen Wien gedenkt man des 100. Geburtstages von Gottfried von Einem (1918 – 1996) und bringt verdienstvoller Weise einiges aus seinem vielseitigen Œuvre in Erinnerung. Im Musikverein nahm man sich eines der wesentlichen Werke Einems vor: Der im Juli 1972 begonnen und im Mai 1973 beendeten siebenteiligen Kantate op.42, „An die Nachgeborenen“.

Das großdimensionierte, etwa 50 Minuten dauernde Opus für Mezzosopran, Bariton, Chor und Orchester ist als Auftragswerk zum 30. Jahrestag der Gründung der UNO entstanden und wurde am 24. Oktober 1975 in New York uraufgeführt, erlebte zwei Tage später zum Nationalfeiertag die Österreichische Erstaufführung im Musikverein als „Festkonzert 75 Jahre Wiener Symphoniker“.  Das Erinnerungsblatt nennt: Dirigent: Carlo Maria Giulini; Chor der Temple University (Philadelphia); sowie die Solisten Julia Hamari und Dietrich Fischer-Dieskau.

Die Auftraggeber erhofften sich nicht nur Deutschsprachiges, sondern „Poesie der Weltsprachen“ als Textgrundlage. Der selbst- und sendungsbewusste Einem bestand aber auf Deutsch im „Blick auf das deutsche Kulturerbe“.  Er berief sich auf Benjamin Brittens War Requiem, das eine ähnliche Friedensmission in dessen englischer Muttersprache darstellte. Während Brittens Geniestreich zum vielaufgeführten Antikriegs-Memento wurde, verschwand Einems Kantate bald aus den Konzertsälen. Galt auch noch in den siebziger Jahren Deutsch als die „Sprache der Aggressoren“ und Englisch als die „Sprache der Befreier“. Zudem wurde Einem als rückwärtsgewandter, einer tonalen Tradition verhafteter „Componist“ kritisiert.

Neben den Psalmen 90 und 121 und Texten von Sophokles/Hölderlin vertonte Einem das politische Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bertolt Brecht und setzte es ins Zentrum. Im Exil entstanden, wendet sich Brecht gegen diejenigen, welche die Untaten des Nationalsozialismus verschweigen, indem sie traditionellen Themen der Lyrik verhaftet bleiben. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! … Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt…“  Man müsse nach einer Sprache suchen, die ihrer Zeit angemessen sei und der Bedrohung durch Diktatur und Unterdrückung nicht ausweicht. In den drei (reimlosen) Abschnitten ist die letzte Sequenz, wenn die „Nachgeborenen“ direkt angesprochen werden, überwiegend im Futurum geschrieben. Bemerkenswert der Satz:  “Gedenkt, wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, auch der finsteren Zeit, der ihr entronnen seid … Ihr aber, wenn es so weit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist, gedenkt unsrer mit Nachsicht!“

Einem, der damals zum „Festmusiker des Establishments“ Gestempelte, entwickelte auch in diesem Bekenntniswerk eine vielgestaltige Tonsprache, wie selbst ein damaliger Kritikerpapst, der „Schönbergianer“ Hans Heinz Stuckenschmidt 1978 in einer enthusiastischen Besprechung zugab. Es sei inspirierte Musik, die  mit dem künstlerischen Rang und dem ethischen Bewusstsein mit dem War Requiem von Britten und den Vokalsymphonien von Schostakowitsch gleichzusetzen sind.

Der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde (perfekt die Einstudierung durch Johannes Prinz) stürzte sich mit hörbarer Verve in die kunstvolle, mitunter auch die Atonalität streifende Polyphonie und die dramatischen, entfesselten Steigerungen. Aber auch die kantablen Stellen und die altmeisterlichen Sequenzen (z.B.m Psalm 121) fanden im Chor, der an diesem Abend zur Hochform auflief, einen beredten Anwalt.

Camilla Nylund meisterte die zentrale Brecht-Kantate mit dramatischem Nachdruck und trefflicher textlicher Durchdringung. Ihr in vielen Valeurs schimmernder jugendlich-dramatischer „Sieglinden“-Sopran setzte sich auch über die sehr ausladend instrumentierten Teile der Partitur durch. Und hatte auch kein Problem mit den Mezzotönen.

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Michael Nagy. Copyright: Monika Höfler

 Michael Nagy waren die liedhaften Anteile der Soli anvertraut. Nagy gestaltete Hölderlins Poesie mit seinem lyrischen Bariton, der Wärme und Glanz verströmte.

Markus Poschner (der Münchner ist seit Saisonbeginn 2017/18 Chefdirigent des Brucknerorchesters Linz und Opernchef am Linzer Landestheater, beides in der Nachfolge Dennis Russel Davies) erwies sich mit Nachdruck, Könnerschaft, präziser Durchleuchtung des Einem’schen Klangkosmos als hervorragender Kapellmeister und souveräner „Gewusst-wie-Gestalter“.

Vor der Pause keineswegs ein „Einspielstück“, sondern die „Nullte Symphonie“ von Anton Bruckner. Im Wesen offenbar das genaue Gegenteil Einems. Unsicher, leicht beeinflussbar. Noch als Enddreißiger (und Linzer Domorganist) nahm er Kontrapunkt- und Harmonielehreunterricht bei Simon Sechter. Zog fertige Werke sofort zurück, wenn von “wohlmeinenden Fachleuten“ Kritik geübt wurde, schrieb über dieses Werk bei Sichtung seines Œuvres auf die Partitur einen „Nuller“ und das Wort „verworfen“. Späte Uraufführung 1924. Heute staunt man darüber, dass diese Symphonie schon viel vom späteren, typischen Bruckner mit seiner höchst eigenwilligen Instrumentation und der ausgeprägten Modulationsfreudigkeit enthält. Das Scherzo tollt geradezu ausgelassen durch den Quintenzirkel. Das Finale prunkt bereits mit kontrapunktischer Verarbeitung, fast wie wesentlich später entstandene Reifewerke, freilich auch urtümlich und noch nicht von der kunstvollen Architektur. Auch hier war Markus Poschner dirigentisch ganz zu Hause.

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien spielte die Bruckner-Rarität wie das Einem-Werk mit Präzision, Farbenpracht, wo nötig mit Wucht, aber auch mit toller Bandbreite der Dynamik.

Schon zur Pause Bravo-Chöre. Es schien, als sei es gelungen, Bruckners „Nullte“ dem Repertoire wiedergewonnen zu haben. Und auch dem angeblichen Komponisten von „Opas Musik“, wie ihn Avantgardisten gerne verunglimpften, widerfuhr Rehabilitierung. Jubel für den Singverein, das Orchester, die beiden Solisten. Und für Einem.

Karl Masek

 

 

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