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WIEN / MusikTheater an der Wien: THEODORA

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Fotos: Theater an der Wien / © Monika und Karl Forster

WIEN / MusikTheater an der Wien im MuseumsQuartier
THEODORA von Georg Friedrich Händel
Premiere: 19. Oktober 2023 

Auch bei allerbestem Willen ist nicht einzusehen, warum Stefan Herheim (in einer der seltenen Inszenierungen, die er für das von ihm geleitete MusikTheater an der Wien wieder einmal gemacht hat) die Handlung von Händels Oratorium „Theodora“ in das Café Central versetzt. Um den Wienern ein sehr pastoses, tragisches, bei der Uraufführung durchgefallenes, dreieinhalbstündiges Werk „g’schmackig“ zu machen, indem man das geliebte Kaffeehaus-Milieu beschwört? Tatsächlich sind die fünf Protagonisten nun – Kellner. Und was sich auf der Bühne abspielt hat nichts, aber auch schon gar nichts mit dem Original zu tun. Die „Übersetzung“ des Stücks in einen völlig neuen Rahmen ist einfach schief gelaufen.

Das Werk selbst ist zugegeben eine etwas mühselige Heldengeschichte um eine edle Römerin, die für ihren Christenglauben in den Tod geht (und ihr römischer Liebhaber begleitet sie). Viel mehr passiert da nicht unbedingt, außer dass sie zwischendurch ins Bordell muss, und vielleicht flüchtete der Regisseur darum in ein „Milieu“, das er mit furchtbar vielen unnötigen Details ausstatten konnte – damit etwas auf der Bühne passiert.

Aber was eigentlich geschieht, das ist selten erkennbar, weil es allem widerspricht, was Text und auch Musik sagen. Als Kellner-Tragödie – der böse Oberkellner entlässt das aufmüpfige Personal am Ende, das schlichte Pendant zum Märtyrertod – wirkt es unglaublich banal. Der Chor darf anfangs (gekleidet als wahrer Fetzenkarneval von Gesine Völlm) Kaffeehausgäste spielen, dann ziehen sie sich bis auf die weiße Unterwäsche aus und sind offenbar verfolgte Christen (?), irgendwann werden auch Punschkrapfen und Süßigkeiten verteilt (leider nicht im Publikum) und es wird darum gerauft – und im übrigen haben sie keine Funktion, weil keine Geschichte.

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Das Café Central hat, so detailreich wie möglich, Silke Bauer auf die Bühne gestellt, und tatsächlich mag der Raum bei mystischer Beleuchtung dank seiner historisierenden Spitzbogenkonstruktion manchmal wie eine Kirche wirken, aber wozu? Und der Billardtisch, der mal da ist, mal nicht, als Altar? Immerhin darf Theodora auch wirkungsvoll darauf kauern.

Alles, was in dem Werk an religiöser Problematik steckt, ist natürlich nicht vorhanden, die Verfolgung der Kellnerin macht schlechtweg keinen Sinn, und nach dem milden Ende der Entlassung (sie und ihr Didymus müssen die Arbeitskleidung ablegen und in Alltagskleidung abgehen) setzt der Regisseur noch einen schier unglaublich albernen Effekt darauf – während das Kaffeehaus langsam in sich zusammen sinkt, erscheint oben ein männlicher Engel mit großen weißen Flügeln. Ja?

Wenn man mit den dreieinhalb Stunden sinnloser Aktion nichts anzufangen weiß, tröstet zumindest der musikalische Teil des Abends, wenn Händel hier (im Vergleich zu seinen wirklich dramatischen Geschichten) eher einförmig verläuft. Aber Bejun Mehta, den man schon oft als Sänger in Barockwerken bewundert hat, beweist am Pult des La Folia Barocktorchesters äußerste Sensibilität, modelliert das wenige an Dramatik liebevoll, lässt Lyrik walten und ein paar seltene Stellen  zu halber Dramatik aufschwingen – kurz, er tut, was man für das Werk nur tun kann.

Jacquelyn Wagner ist eine edle Erscheinung und liefert ebenso edlen Gesang. Die große Rolle der Irene (bei der konzertanten Aufführung 2021 noch im Theater an der Wien sang keine Geringere als Joyce DiDonato neben Lisette Oropesa diese Rolle) fand in Julie Boulianne einen substanzreichen Mezzo, wenn sie auch immer als graue Maus herumschleichen musste.

Einen ausgesprochen angenehmen Countertenor ließ der Amerikaner Christopher Lowrey als Didymus hören (nie zerschnitt er einem die Ohren, wie das bei dieser Stimmlage schon vorgekommen sein mag), in der Nebenrolle des Septimius war David Portillo sympathisch und tenoral schön anzuhören. Einzig für den „Bösewicht“ Valens hätte man sich vom Bass des Evan Hughes etwas mehr Härte und Durchschlagskraft gewünscht. Brillant wie immer der Arnold Schoenberg Chor, geleitet von Erwin Ortner.

Am Ende viel verdienter Applaus für die Sänger und den Dirigenten. Als das Leading Team erschien, regte sich nicht der geringste Widerspruch. Die seltsame Kaffeehaus-Rechnung dürfte also aufgegangen sein – nur nicht bei den Besuchern, die in der Pause das Weite suchten.

Renate Wagner

 

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