Fotos: c Monika Rittershaus
WIEN / MusikTheater an der Wien:
NORMA von Vincenzo Bellini
Premiere: 16. Februar 2025
Und es leuchteten die Stimmen
Wien sei derzeit im „Norma“-Fieber, bemerkte Stefan Herheim ganz richtig. Tatsächlich erinnert man sich nicht, dass je ein- und dieselbe Oper an zwei großen Opernhäusern Wiens innerhalb einer Woche Premiere gehabt hätte. Herheims Musiktheater an der Wien hatte die Nase voran, und man kann die Aufführung hier ohne Übertreibung als verdienten Triumph bezeichnen. Das ging auf das Konto der Sänger – das Terzett dreier strahlend leuchtender Stimmen vor der Pause war so mitreißend, dass das Publikum in regelrechten Jubel ausbrach. Es ging aber auch auf das Konto einer Inszenierung, die das Werk in eine gänzlich andere Welt versetzt – und dennoch seine Geschichte kenntlich erzählte.
Worum geht es in „Norma“ von Vincenzo Bellini? Nun, in erster Linie darum, dass Männer so unzuverlässig und gewissenlos sind. Kaum haben sie eine Frau satt, flattert der Herr der Schöpfung zur nächsten, ohne sich der ersten (an der ihn nur die gemeinsamen Kinder interessieren) sauber entledigt zu haben. Wenn er dann bei den beiden Damen noch auf so etwas wie weibliche Solidarität stößt – also, eine klassische Dreiecksgeschichte.
Sie hat aber schon im Libretto von Felice Romani quasi einen politischen Hintergrund. Gallien wurde bekanntlich im ersten Jahrhundert vor Christus von den Römern erobert (wer hat sich an Caesars „De bello Gallico“ nicht die Zähne ausgebissen), und Druiden gab es wirklich (wenn auch nicht ganz so komisch wie bei Asterix). Hier wird ein besetztes Gebiet von dem römischen Feldherren Pollione verwaltet, während die Druiden-Priesterin Norma die Macht und die Funktion hat, ihr Volk zu Frieden zu beschwichtigen oder in den Krieg zu führen. Wenn Norma nun ausgerechnet Pollione liebt (was für Priesterinnen auch nicht wirklich vorgesehen ist), kann man sich die Zuspitzung der Geschichte vorstellen, auch wenn sie im Original nicht gar so „politisch“ gemeint war – da geht es einfach um den klassischen Fall einer „großen“ Oper, die vom historischen Faltenwurf profitiert und im übrigen phantastische Musik und drei großartige, immens schwierige Hauptpartien hat.
Nun Römer, Gallier und Druiden werden sich auf unseren Opernbühnen nicht mehr finden (obwohl sich die Geschichte in diesem Gewand genau so überzeugend, wenn auch nicht zeigefinger-interpretierend, erzählen ließe…). Die Inszenierung des Russen Vasily Barkhatov spielt – ja, wann und wo wird nicht genau gesagt. Man könnte sich von der Optik her vorstellen, dass es irgendwo im Ostblock, irgendwann im 20. Jahrhundert stattfindet.
Zu Beginn der Ouvertüre befindet man sich in einer großen Fabrikhalle, die man für ein Steinmetz-Unternehmen halten würde, wo derzeit edle Statuen und das Bildnis einer Göttin gefertigt werden. Plötzlich stürmen Soldaten herein und schlagen alles kurz und klein. Vorhang, die Ouvertüre geht weiter, eine Schrift am Vorhang verkündet uns, dass zehn Jahre vergangen sind.
Dieselbe Fabrikhalle, nur dass es hier nun ausschließlich eine Diktator-Büste mit der charakteristischen Schirmmütze gibt. Vermutlich aus Ton gefertigt, denn im Hintergrund sind zwei riesige Verbrennungsöfen – bekanntlich wird für das Ende der „Norma“-Handlung ja ein Scheiterhaufen benötigt. Ist diese Halle noch ein eindrucksvoller Schauplatz, hat sich Zinovy Margolin für Normas Wohnung das denkbar schäbigste Massenquartier ausgedacht. Olga Shaishmelashvili kleidet die Beteiligten (mit Ausnahme Polliones) in Arbeitskluften.
Doch, wie gesagt, die Geschichte wird erzählt, wenn auch in Details anders. Wie gut der Russe seine Interpretation durchdacht hat, zeigt sich an der „Casta Diva“-Arie – hier muss Norma ein Ritual vollziehen. Religiöser Schnickschnack ist nicht angesagt. Auf einem Arbeitstisch werden Bruchstücke der einst von den Feinden zerschlagenen Göttin aufgereiht… und es ist klar, dass man solcherart den Widerstandsgeist wach hält. Mehr als ein Detail ist es, wenn Norma sich am Ende in den Ofen stürzen will und Pollione sie abfängt und die wild Zappelnde davon abhält. Das mag nicht im Sinne des Originals sein, erweist sich für den Zuschauer aber als viel befriedigender als ein doppelter Heldentod. Wir sind ja nicht mehr im alten Rom bzw. alten Gallien.
Was absolut neu gesehen wird, ist die Figur der Norma selbst. Man erinnert sich – es gibt Fernseh-Aufzeichnungen – an die gewaltigen, würdigen, aber auch im konventionellen Sinn rasenden Damen, wie eine Joan Sutherland, eine Montserrat Caballé sie gezeigt haben (so wie sie gesungen haben, durften sie alles). Hier steht nun Asmik Grigorian auf der Bühne, schmal, drahtig, dunkelhaarig, souverän, immer beherrscht, durchaus die politische Führerin einer abwartenden Widerstandsgruppe. Wenn sie erkennt, dass Pollione sie betrogen hat, explodieren da nicht die Rachegelüste einer Verschmähten, Frauen-Kitsch bleibt total außen vor. Sie ist zynisch, cool und immer gefasst und weiß doch in Nuancen ahnen zu lassen, was in ihr vorgeht. Man kann den Blick nicht von ihr wenden.
Dazu kommt die stimmliche Souveränität, mit der sie keine Sekunde lang an der Hochdramatik scheitert. Stefan Herheim hatte vor der Vorstellung vorsichtig angekündigt, Asmik Grigorian könnte nach Erkrankung möglicherweise nicht ganz auf der Höhe sein. Sie war hoch, höher, am höchsten, stimmlich, technisch, gestalterisch. Eine Norma, die weder wie eine klassische Norma aussieht noch sich so gebärdet und doch die eindrucksvollste Norma war, die man sich vorstellen kann.
Ihr zur Seite die Wolga-Russin Aigul Akhmetshina, die man schon an der Met (im Kino natürlich) als faszinierende Carmen kennen gelernt hat. Der stupende Eindruck dieser leuchtenden Mezzosopran-Stimme wiederholte sich auch hier, ihre Stimme umschmeichelte etwas dunkler jene der Grigorian in den Duetten, und beide auf einem Niveau, wie Bellini es vorgegeben hat und wie es nicht immer erreicht wird. Dass aus der Priester-Novizin nicht viel mehr als eine Putzfrau wurde, die in schäbigen Fetzen keinen Staat macht, wird durch stimmliche Präsenz ausgeglichen.
Freddie De Tommaso konnte mit den Damen an Kraft mithalten (und angesichts dessen, was die beiden geliefert haben, wäre das nicht jedem gelungen). Wenn er auftritt, ist er der klassische Bösewicht, im Genre ganz der Faschist im Maßanzug – man gibt einem Mann nicht ein Beinahe-Hitler-Bärtchen, wenn man das nicht ganz deutlich aussagen will. Nun ist Pollione alles andere als der brave Liebhaber, also macht er nie gute Figur. Hier soll er explizit der Kotzbrocken sein, der erst am Ende – und das macht er schön – zur Erkenntnis kommt. Sein Tenor, wie gesagt, ist kraftvoll, technisch potent, und wenn sein Timbre auch nicht Spitzenklasse ist, was soll’s. Wenn alle klängen wie einst Pavarotti, wäre dieser nichts Besonderes mehr.
Mit etwas grober Stimme sang Tareq Nazmi den Oroveso, in den Rollen der „Gefährten“ bewährte sich Victoria Leshkevich an der Seite der Norma, Gustavo Quaresma an der Seite von Pollione.
Der Abend hätte nicht diese (vielleicht etwas grobschlächtig laute, aber total überzeugende) Wirkung erreicht, hätte Dirigent Francesco Lanzillotta das Orchester der Wiener Symphoniker nicht regelrecht „angezündet“ und die Sänger auf den Wogen Bellini’schen Schwungs getragen. Den Arnold Schoenberg Chor, geleitet von Erwin Ortner, zu loben, ist nicht Routine, sondern gern ausgeübte Pflicht.
Es war einer der mitreißendsten Opernabende seit langem. Für Opernfreunde, die es nicht nach Wien schaffen können, gibt es einen Trost – ab 23. Februar ist die Produktion als Stream auf arteConcert verfügbar. Nicht versäumen!
Renate Wagner