Fotos: ©_Herwig_PRAMMER_
WIEN / MusikTheater an der Wien im MuseumsQuartier
KUBLAI KHAN von Antonio Salieri
„Uraufführung“
„Spielfassung“ von Martin G. Berger und Philipp Amelungsen
Premiere: 5. April 2024
Drei Stücke für eines
Wer „Kublai Khan“ sagt, denkt wahrscheinlich weniger an den Mongolenfürsten, der Kaiser von China wurde, als an Anthony Quinn in dem farbenprächtigen Historienfilm. Sollte es eine Oper über Kublai geben, müsste es wohl eine „Grand Opéra“ sein, würde man vermuten. Tatsächlich hat Antonio Salieri auch solche geschrieben. Aber sein „Kublai Khan“, den niemand kennt (Kunststück!) bezeichnet sich als „Dramma Eroicomico“, und das MusikTheater an der Wien zieht den Vergleich zu Offenbachs grimmig-spitzigen Polit-Operetten heran. Man ist sich übrigens im Haus nicht ganz einig – an einer Stelle spricht man von der „Welturaufführung“, an anderer von der !Uraufführung der italienischen Originalfassung“ (was implizieren würde, dass es eine französische Fassung gab – oder Wikipedia mit der Behauptung „Uraufführung posthum 1998 in Würzburg“ recht hat). Wie dem auch sei – man lernte ein neues Werk kennen.
Und erwähnen wir gleich das Beste daran – die Musik. Salieri ist nach dem alten Motto „Das Bessere ist der Feind des Guten“ wahrlich ein Opfer Mozarts, wenn sich auch erst die Nachwelt so dezidiert für diesen ausgesprochen hat, dass Saleri-Aufführungen in unserer Welt wahre Raritäten darstellen. Dabei war er nicht nur ein Mann von Können und Geschmack, sondern durchaus auch von Inspiration. Es gibt in „Kublai Khan“ Arien und Duette, die es mit dem Rivalen aufnehmen können. Dennoch – eine Aufführung, die dreieinviertel Stunden dauert, trägt das Stück nicht. Man hätte gut und gern mit Gewinn eine Stunde wegholzen können – und man berufe sich nicht auf die Originaltreue. Diese Aufführung im MusikTheater an der Wien macht mit dem Werk absolut, was sie will.
Ein bißchen Geschichte dazu, warum die Uraufführung 1787 abgesagt wurde. Nicht, weil Kaiser Joseph II. ein Tyrann, sondern weil er ein gescheiter Politiker war. Wenn er endlich ein Bündnis mit Russlands Zarin Katharina II. geschlossen hatte, konnte er nicht riskieren (und Berichte flogen zwischen den Höfen nur so hin und her), sie mit einer Salieri-Buffa zu verärgern – allein, dass Kublai Khan seinen Untertanen befielt, sich die Bärte abzuschneiden, war eine allzu deutliche Anspielung auf genau diesen Gewaltakt, den Zar Peter der Große einst den Männern seines Volkes abgezwungen hatte. Und Katharina (die längst die kleine deutsche Prinzessin abgelegt hatte, als die sie einst nach Rußland gekommen war) wäre über solche Kritik an ihrem großen Vorgänger sicher nicht „amused“ gewesen. Und über viele andere politische Anspielungen auch nicht…
Das heißt, wie das Original aussieht, weiß natürlich niemand. Was man sieht, ist die „Spielfassung“ von Regisseur Martin G. Berger und Dramaturg Philipp Amelungsen, und die wollten statt des einen Stücks gleich drei bieten. Das Original, letztlich eine Chinoiserie, wäre (hätte man es tatsächlich auf Offenbach gepolt) zwar dumm genug gewesen, aber vielleicht nicht verwirrender als das, was die Bearbeiter dazu gedichtet haben.
Zuerst einmal Herrn Salieri persönlich (wenn schon Puccini immer wieder und Wagner selbst in ihren Werken auf der Bühne erschienen sind, warum nicht er?), Der meldet sich schon nach den ersten paar Minuten, die schön „chinesisch“ in einer Szenerie spielen, die entfernt an den Kaiserpalast in Peking erinnert, und beschwert sich, dass sein Werk ja gar nicht aufgeführt werden durfte. Und von nun an ist er dauernd auf der Bühne, immer wieder (auf Deutsch und Italienisch) kommentierend und eingreifend. Christoph Wagner-Trenkwitz tut es, ohne sich allzu sehr aufzudrängen.
Nun muss die Handlung aber zwanghaft in die Gegenwart versetzt werden – und zwar in eine Schokoladenfabrik. (Es hätte auch eine Schuhfabrik oder eine Bäckerei sein können, nimmt man an.) Kublai Khan ist Firmenchef, die Heiratspläne für den Sohn Lipi beziehen sich nicht auf politische, sondern geschäftliche Beziehungen, und dass dieser Sohn und dessen Erzieher im Original dermaßen als „queer“ aufgetreten wären (herausgeputzt, als hätten sie einen Porno-Laden nach SchnickSchnack durchstöbert), kann man allerdings bezweifeln. Nicht am Wiener Kaiserhof anno dazumal.
Aber damit belässt man es auf dieser dritten Ebene nicht. Man hat das Stück nämlich in das Jahr 2022 versetzt. Vor der Pause ist noch alles gut – danach sind die Russen über die Ukraine hergefallen. Und da wird „politisch“ belehrt, dass sich die Balken biegen. Bitteschön, die Frage, ob man Opern spielen und sich vergnügen darf, während andere Völker unter Krieg leiden, ist eine Problematik, die man vermutlich auch nicht in wochenlangen Symposien auflösen könnte – sicher nicht in drei Minuten Geschwurbel auf der Opernbühne. Und ganz zweifellos machen diese heutigen Überlegungen das Stück auf der Bühne weder heutiger noch tiefsinniger noch besser.
Nun wirbeln die drei Ebenen durcheinander – weil es mit der Schokoladenfabrik (trotz einiger ganz witziger Details zur „politischen Korrektheit“, wenn der Kublai auf der Mozart-, pardon: Kublai-Kugel dauernd umgestaltet wird – ist es rassistisch, einen Asiaten als Asiaten darzustellen?) auf die Dauer wirklich nicht klappt, schlüpf das Werk denn im zweiten Teil wieder mehr und mehr ins chinesische Interieur. Freilich muss Salieri auch hier nochmal alles loslassen, was den Bearbeitern zu Trans, Divers, Frauenpower, Männer-Einsicht (!) eingefallen ist, aber zu diesem Zeitpunkt fühlt man sich schon so belehrt, dass es mittlerweile egal ist. (Über das Klima haben sie nichts gesagt und den Kolonialismus auch nicht, sollte vielleicht noch eingearbeitet werden!)
Was hat Regisseur Martin G. Berger nun in der superbunten Kreuz- und Quer-Ausstattung von Sarah-Katharina Karl und Alexander Djurkov Hotter nun gezeigt? Vordringlich einen Karneval, wogegen bei einer Buffa ja nichts einzuwenden ist, oft aber ein undurchdringliches Gewühl, das zu hopsendem Selbstzweck ausartet. Sei’s drum, wenn man alles unnötige Beiwerk (ohne das es heute aber offenbar nicht mehr geht) entfernte, wäre es vielleicht sogar lustig.
Und es gab die eine oder andere schöne Stimme. Die eine gehörte dem per Definition „hohen Tenor“ von Alasdair Kent, erstaunlich in wirklich höchste Höhen kletternd und doch kein Counter, ein prächtiges Timbre und beeindruckende Stimmkultur. Da rückt der nächste Bernheim nach – nur dass er noch höher kommt… Die andere hoch erfreuliche Stimme war die des Baritons Giorgio Caoduro als Bozzone, geschmeidig und schön timbriert, von temperamentvoller Darstellung angeboten. Der Titelheld allerdings (Carlo Lepore) hatte zwar Tiefe, aber sonst nur Schnarr- und Krächztöne zu bieten. Und Fabio Capitanucci als sein Adlatus tat es ihm an Stimmgrobheit gleicht.
An sich hätte der Erzieher Posega (Leon Kosavic, ein angenehmer Bariton) höchstwahrscheinlich einen Countertenor an seiner Seite haben sollen, aber Kublais Sohn ist hier mit einer Frau besetzt: Lauranne Oliva zieht als schwuler Lipi eine Show und hohe Töne ab. Noch höher und von perlenden Koloraturen gekrönt muss sich die weibliche Heldin des Abends gehen: Marie Lys als zickige Alzima sprüht Brillanz nur so über die Bühne, schrillt dem Zuhörer aber auch oft die Ohren voll. Die zweite (legitime) Dame im Ensemble, Memma, die mit Bozzone ein Intriganten-Duo bildet, das im „Rosenkavalier“ anheuern könnte, war mit der Portugiesin Ana Quintans höchst ansprechend und anhörend besetzt.
Christophe Rousset stand am Pult „seines“ Orchesters, Les Talens Lyriques, die vom ersten Ton an das Harnoncourt-Gefühl vermittelten, aber ihre Trockenheit nach und nach abbauten. Süffig wie immer jedenfalls der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner).
Ein ungetrübtes Vergnügen war es ja nun nicht, trotz mancher Schönheit in der Musik und mancher Sängerfreude. Als sich beim Schlußapplaus das Leading Team verbeugte, gab es entschlossene Buh-Rufe. Allerdings überwog der freundliche Beifall. Es ist zu befürchten, dass Salieri aus der Distanz von zweieinhalb Jahrhunderten auch mit diesem Werk nicht die Opernbühnen der Gegenwart erobert.
Renate Wagner