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WIEN/ Museumsquartier/ Neue Oper Wien: LE GRAND MACABRE – Derniere

09.10.2012 | KRITIKEN, Oper

Neue Oper Wien in der Halle E des Wiener Museumsquartiers LE GRAND MACABRE – (Première 2.10, besuchte Vorstellung: 7.10.):


Martin Achrainer, Ensemble. Foto: Neue Oper Wien

Die literarische Vorlage dieser zweiaktigen Oper bildet das Theaterstück La balade du Grand Macabre von Michel de Ghelderode (1898-1962), einem Vertreter des absurden Theaters, aus dem Jahre 1934. Michael Meschke, der Direktor des Stockholmer Marionettentheaters, und Ligeti schufen zunächst ein Libretto in deutscher Sprache mit dem Titel „Der große Makaber“. Für die Uraufführung der ersten Fassung am 12. April 1978 am Königlichen Theater in Stockholm wurde das Libretto dann ins Schwedische übersetzt und die Oper unter dem seither geläufigen französische Titel „Le Grand Macabre“ einem breiteren Publikum erstmals vorgestellt. Die Frage nach der „Originalsprache“ der Oper ist insoferne obsolet geworden, als Ligeti immer dafür eintrat, dass seine einzige Oper in der jeweiligen Landessprache gespielt werden sollte. Und so existieren daher Fassungen in Englisch, Italienisch, Französisch und natürlich Ungarisch, mit den jeweiligen Anpassungen der Noten für sprachliche Besonderheiten. 1996 revidierte Ligeti dann seine Oper für die Salzburger Festspiele 1997 (Regie: Peter Sellars), indem er die Szenen 2 und 4 kürzte und reine gesprochene Texte vertonte. Diese zweite Fassung wird seither immer wieder auf den großen Bühnen, so zuletzt 2011 in Barcelona, erfolgreich aufgeführt. In Österreich sah man den großen Makabren zuletzt im Jahre 2006 am Opernhaus Graz in der Regie des Australiers Barrie Kosky, des neuen Intendanten der Komischen Oper Berlin.

Nachdem György Ligeti die Anti-Oper „Staatstheater“ von Mauricio Kagel gesehen hatte, schien es ihm unmöglich eine weitere „anti-Oper“ zu komponieren. Sein Grand Macabre musste daher eine „anti-anti-Oper“ werden, in der er seine ironische Betrachtung der traditionellen Opernform mit einer anti-Oper Kritik am Genre dieser Gattung verband.


Arno Raunig. Foto: Neue Oper Wien

Zum Inhalt: In einem imaginären Breughelland verkündet Nekrotzar, der Tod, das Ende der Welt. Aber keiner nimmt ihn so richtig ernst. Oder doch? Dem Unvorstellbaren begegnen die Menschen durch ein hemmungsloses Ausleben ihrer aufgestauten Triebe, ertränken ihre Ängste im Suff oder versuchen, sich Freund Hein einzuschmeicheln, damit er sie verschone. So beginnt die Oper mit einer Toccata verschiedenster Autohupen, Trillerpfeifen und Türklingeln, welches Motiv später noch einmal von Streichern und Bläsern aufgegriffen wird, und endet mit einer äußerst witzigen Passacaglia. Von Monteverdi und Bach, über Beethoven, Rossini, Verdi bis zu Wagner und der Zwölftontechnik spannt sich ein fantastischer Reigen an witzigen musikalischen Zitaten. Dazu gesellen sich extremste Koloraturarien und Szenen, die den Sängerdarstellern geradezu slapstickartige Fähigkeiten abverlangen. Ein mittelalterlicher Totentanz, eingebettet in die lebenshungrigen Bilderfluten eines Hieronymus Bosch und Pieter Bruegels, eine apokalyptische Endzeitstimmung, die ihr Ende nicht findet, das sind die Ingredienzien, die diese Oper, besser gesagt dieses Musiktheater so hörens- wie sehenswert machen.

Und die Neue Oper Wien verfügt in ihrem Gründer und musikalischen Leiter Walter Kobéra über einen verlässlichen Garant für eine spannende Umsetzung musikdramatischer Werke der Nachkriegszeit. So wurde auch dieser Abend in musikalischer Hinsicht keineswegs zu einem musealen Ereignis, sondern zu einem außergewöhnlichen Klangerlebnis dank des engagiert musizierenden amadeus ensemble-wien, das zugleich spannend und witzig war und im begeisterten Applaus des Publikums am Ende dieser Dernière gipfelte.

Der 1989 in Mailand geborene Andrea Cozzi stellte eine Endzeitlandschaft, bestehend aus übereinander aufgetürmten Wohnzimmercontainern, einem riesigen Schaukelpferd, einem Maibaum, einer schwarzen Citroen Limousine der 50ger Jahre mit Sarg auf dem Dach, der später Nekrotzar entsteigen soll, einem Ringelspiel und einer Leichenkammer auf die Bühne der Halle E des Museumsquartiers in Wien. Aus der Bühnentiefe führt mittig ein Gleisstrang zum Bühnenrand. Unwillkürlich denkt man da an Anna Karenina, die sich am Ende ja vor den einfahrenden Zug stürzt. Aber keine Angst auf diesem Gleis wird Nekrotzar im zweiten Akt mit Inkakrone und Umhang in Manier des Voudou Totengottes Baron Samedi, aber ohne Zylinder, auf einer Draisine herein geschoben. Die witzigen bis grotesken Kostüme steuerte Christof Cremer bei.

Die Inszenierung des aus Caracas (Venezuela) stammenden Regisseurs Carlos Wagner verliert sich in witzigen Details, bleibt aber den wirklich harten Biss schuldig. Dem Schreckensgespenst des allzeit drohenden Todes setzt er exzessive Sinneslust entgegen und würzt sie mit Slapstick und Groteske. Während der erste Teil noch „gemütlich“ anläuft und in höflichem Applaus den Beginn der Pause markiert, lösen einander im zweiten Teil äußerst kurzweilige Szenen kintopartig ab. Die Oper ist für ihn auch gerade deshalb so aktuell, da nach dem Maya-Kalender ja das Ende der Welt für den 21.12.2012 fest steht. Ein gutes Geschick zeigt der Regisseur in der Personenführung und er schreckt auch nicht vor Übertreibung zurück. Als wahrer Lichtblick fungiert da natürlich der Tiroler Bassbariton Martin Achrainer, der sich seines lästig gewordenen schwarzen Anzugs entledigt und dann in eng anliegenden figurbetonten weißen Shorts erahnen lässt, wo die Qualitäten eines wahren Adonis zu suchen sein mögen…

Martin Achrainer, Ensemblemitglied des Landestheaters Linz, spätestens bekannt durch die vom ORF ausgestrahlte Uraufführung der Philip Glass Oper „Kepler“, worin er den großen Astronomen darstellte, ist der Fokus dieser Produktion. Um ihn und seinem angekündigten Weltuntergang kulminiert die gesamte Handlung. Bei seinem ersten Auftritt hat es den Anschein, als ob er mit seinem Auto gerade in den am linken Bühnenrand befindlichen Maibaum gerast sei und nun vom blutüberströmten Unfallopfer zum Zombie mutiert, der langsam mit den typischen kantigen Bewegungen aus dem Wrack klettert. Der sympathische Sänger besitzt eine hervorragende klare Diktion, ein markantes Timbre und eine besonders flexible Stimmführung und es ist verwunderlich, dass diesen begabten Sänger noch kein Ruf an die Wiener Volksoper ereilt hat. Möglicher Weise findet dort aber niemand Zeit, hausfremde Produktionen eines Besuches zu würdigen?

Köstlich das tribadische Liebespaar Júlia Bányai und Anna Manske als Amanda und Amando, die den nicht stattgefundenen Weltuntergang in einem Kühlhaus, in welchem Leichen aufgebahrt liegen, verschlafen. Leider treten die beiden nur zu Beginn und am Ende der Oper, kokett in Leintücher gehüllt, auf.

Countertenor Arno Raunig als Fürst Go-Go wirkte schon durch seinen Trachtenanzug mit Kniebundhosen rein äußerlich lächerlich, was durch seine Stimmlange, die wahre Sopranqualitäten aufwies, noch um ein zusätzliches groteskes Element bereichert wurde.

Die 1982 in Seoul geborene koreanische Sopranistin Jennifer Yoon, in der Doppelrolle der Venus und des in einem glitzernden Golfcaddy fahrenden Geheimdienstchefs Gepopo bestach in der großen Vocalise mit einem akrobatischen Sopran in höchsten Diskanten.

Annette Schönmüller als Domina Mescalina in grotesker Heidikostümierung und der britische Bariton Nicholas Isherwood als Sterngucker Astradamors lieferten eine filmreife sadomasochistische Einlage, die nichts an Komik entbehrte. Besonders dann, wenn das Pärchen durch eine Spinne (Rosalie Altersberger), die akrobatisch an zwei Stoffbahnen empor kletterte, gestört wird. Vergeblich versucht sie Astradamors zu erlegen, sie entschlüpft behände seinen Zugriffsversuchen und krabbelt eiligst hinfort.

Brian Galliford als Saufbold Piet-vom-Faß orgelte mit markigem Tenor als Sandler gekleidet was das Zeug hielt und setzte auch Nekrotzar gekonnt den flüssigen Verführungen aus, sodass dieser seine eigentliche Sendung fast vergisst.

Im zweiten Akt teilten sich dann noch Gerhard Karzel und Bernd Hemedinger die Rolle des weißen Ministers, so wie von Ligeti beabsichtigt als Schauspieler bzw als Sänger. Gleiches taten auch Stephan Rehm und Frederic Pfalzgraf, die sich die Rolle des schwarzen Ministers teilten. Sie bemalten einander und hielten, wie es Politiker im allgemeinen handhaben, schwergewichtige aber inhaltlich völlig belanglose Reden. In diesem Moment strömte dann der Chor von den hinteren Rängen aus an den Zuschauern vorbei auf die Bühne, um eine Revolution anzuzetteln, die aber durch den spektakulären Auftritt des Nekrotzars als Maya-König auf einer Draisine thronend jäh unterbrochen wird. Gleich Donner im Rheingold schwingt dieser dann eine Art Hammer, um das Weltende zu markieren. Die rückwärts zählende Digitaluhr, die bei 2012 beginnt, bleibt allerdings knapp vor dem Ende, dem prognostizierten Weltuntergang, stehen… und Kinder in weißen Trikots, Hoffnungsschimmer einer besseren Zukunft, überwältigen schließlich auch Nekrotzar.

Bernd Hemedinger, Martin Schranz und Sebastian Peissl ergänzten rollengerecht als karnevaleske Polizisten Rufflack, Schobiack und Schabernack.

Der von Michael Grohotolsky hervorragend einstudierte Wiener Kammerchor konnte sich durch individuelle Rollengestaltung profilieren.

Das Publikum äußerte seine Begeisterung durch enthusiastischen Applaus, gleichmäßig auf die Sängergilde auf der Bühne und die Orchestermitglieder im Graben verteilt. Publikumsliebling Martin Achrainer konnte als bühnenbeherrschender Sängerdarsteller freilich den größten Teil des Applauses für sich verbuchen.

Harald Lacina

 

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