„Ich bin also verheiratet und in einem Museum!“ – La Périchole am Theater an der Wien, 4. Aufführung der Seria am 25.01.2023
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Passend zur Ballsaison (anderswo auch Karneval) bringt Nikolaus Habjan am Theater an der Wien Jacques Offenbachs „La Périchole“ auf die Bühne. Die Operette ist hier kaum bekannt, obschon Wien nach Paris der wichtigste Umschlagplatz für Offenbachs Werke war und er unmittelbar nach den Pariser Premieren diese hier in deutscher Sprache auf den Markt zu werfen pflegte. Das ist insofern interessant, als daß sich Offenbach im Paris des Second Empire weitaus mehr erlauben konnte, als im neo-absolutistischen Wien Franz-Josephs. Heutzutage scheint sich zumindest in Wien daran nicht viel geändert zu haben, scheinen doch immer wieder laute Stimme auf, die gerade bei Kultur empört schreien „dürfen’s denn des?!“, zwischen den Zeilen aber „Daschlogts es“ meinen.
Copyright: Theater an der Wien. Foto: Werner Kmetitsch
Nikolaus Habjans Inszenierung kommt hier also genau richtig, denn seit Ibiza reißen politische Skandale in Österreich nicht mehr ab und häufig ist uns gar nicht mehr so klar, ob die Komödie auf der Bühne oder im Theater gespielt wird. Frei nach dem Motto „difficile satiram non scribere“ spielt die Périchole im Libretto dann zwar in Peru, zeigt aber verdächtig große Parallelen zum heutigen Österreich. Das ist nicht nur im Sinne Offenbachs, der seinerzeit die Operette nutzte um sich eben über das Second Empire lustig zu machen. Das ist auch – wie sich im Lauf des Abends herausstellen wird – eine mit feiner Feder gezeichnete Satire, die nun wirklich jedem den Spiegel vor das Gesicht hält. Der erste Spiegel schaut dann auch gleich wortwörtlich auf uns als Publikum zurück: Ein gigantisches Wahlplakat mit der Aufschrift „Peru darf nicht Österreich werden“ (wer erinnert sich noch an die Kampagne „Wien darf nicht Istanbul werden“?) und dem Gesicht des fiktiven Vizekönigs von Peru verfügt über zwei Gucklöcher in den Pupillen, die genutzt werden um die Bevölkerung von Lima, aber auch das Publikum genauestens auszuspitzeln.
In diesem Zusammenhang muss das fabelhafte Bühnenbild von Julius Theodor Semmelmann erwähnt werden: Hier ist im kleinsten Detailgrad dargelegt, welches Land statt Peru nun eigentlich gemeint ist. Das Gasthaus zu den 3 Cousinen ist ein Würstlstand, namentlich „Zum scharfen Andres“. Dieser residiert im 6. Gemeindebezirk an der Plaza de la Corrupcion, dort werden gleich neben einem Wiener – pardon – Limaer Mistkübel Getränke wie Pink Lama (statt Red Bull), Andendudler und Lama Ludl (Coca Cola) aber auch echtes Herheimer – Musiktheater Bier genauso angeboten, wie obligatorisch angebrannte Würstl und Semmelmanner Instantschäuferla. Daneben leuchtet die Fußgängerampel mit den allseits bekannten Ampelpärchen und es kommt fast etwas trügerische Wien-Idylle auf, wenn der Stadtkommandant Punschkrapfen und Fleischlaberl verkauft. So viel durchdachte Liebe zum Detail muss lobend erwähnt werden und vergrößert noch einmal den Charme des Abends. Spätestens wenn der Kammerherr des Vizekönigs sich in einer gelben Zeitungsjacke inkognito unters Volk mischt, wird klar, daß hier keinesfalls Lima gemeint ist, auch wenn das Logo des größten Auflagenstärksten Blattes hier mit „Freie Zensur“ benamst ist.
Zahlreichen Anspielungen auf eine größere Stadt an der Donau werden treffsicher platziert. Nachdem dann im zweiten Akt der Palast des Vizekönigs nach der Innenarchitektur der Staatsoper gestaltet ist und sich die Hofdamen in den Proszeniumslogen am Geschehen ergötzen (insbesondere dann, wenn es um Skandale oder das Leid anderer geht), wird klar, daß die Seitenhiebe hier nicht nur gegen die verwahrloste politische Kultur in Österreich gehen, sondern die gesamte Gesellschaft betreffen. „Du kommst auch drin vor“ lässt uns diese wirklich durchdachte Produktion wissen. Bravo, bravissimo an Herrn Semmelmann und sein Team, so viel Liebe zum Detail mit so viel Witz und Biss sieht man selten an hiesigen Theatern.
Solche Bilder wollen dann auch mit Inhalten gefüllt werden und dies gelingt Nikolaus Habjan ebenso tadellos und treffsicher. Besonders darf hier auch das Couplet zum Beginn des zweiten Akts genannt sein, in dem Gerhard Ernst, Boris Eder und David Fischer in eindeutiger Schärfe dem Kulturbetrieb am Beispiel des Burgtheaters ihren Senf auf dem Silbertablett servieren: Natürlich habe die grüne Kulturstaatsekretärin nicht ihr Versprechen gehalten, eine Frau zur Direktorin der Burg zu machen. Aber das sei am Ende ja nicht so schlimm, schließlich werde die Burg wohl ohnehin bald wieder frei sein – Der Fall Teichtmeister lässt grüßen. Hier bleibt nur noch ein Wienerisches „Hallo“ am Schluß über und man weiß nicht, ob man lachen oder doch über das kompromisslose Aufzeigen der Realität weinen soll.
Zuvor erwacht Protagonist Piquillo eben im Staatsopern-Palast und muss feststellen, daß er nicht nur verheiratet ist, sondern sich offensichtlich in einem Museum befindet. Wir wären froh, wenn es wenigstens ein Museum der Kunst wäre, welches am Opernring zwei residiert, alleine sind die dortigen Neuinszenierungen derzeit doch eher das Gegenteil von museal und ihrer Konservierung wert. So sind dann auch die Hofdamen in großen Teilen Debutantinnen, die anlässlich des Opern- pardon Hofballes vorgestellt werden soll. Schließlich ist dieser der Staatsball Österreichs und auch in diesem Jahr gibt es eigentlich nur Abstriche (beispielsweise wurde die Ballmutter abgeschafft) außer einer Zwangsspende von 10% zu vermeintlich karitativen Zwecken, die dann auch passend „Solidaritätsaufschlag“ heißt. Absurd bei einem Haus, daß sich zu rund 75% aus Steuergeldern finanziert und deshalb genau passend zu dieser Satire über den Nepotismus in Österreich: Letzterer funktioniert mit freiwilligen Spenden halt einfach nicht.
Zahlreiche Anspielungen und Pointen folgen ganz im Sinne Offenbachs im Laufe der Aufführung, alle sitzen gekonnt und gnadenlos. Das schmeckt manch einem Besucher nicht, tatsächlich verlassen auch einzelne Besucher die Halle E, von niveaulosem Klamauk kann allerdings keine Rede sein. Vielmehr zeigt es sich wieder einmal, daß getroffene Hunde bellen. Bravo, bravissimo also auch an Nikolaus Habjan für den Scharfsinn mit dem er den Bogen zwischen Offenbach und heutigen Österreich schlägt, als auch den Mut so etwas auf die Bühne zu bringen (erste Beschimpfungen durfte er sich ja bereits gefallen lassen). Hier ist wirklich ein Gesamtpaket gelungen, das klug durchdacht ist und wirklich rundum an alle austeilt.
Was brachte der Abend musikalisch und spielerisch?
Zunächst den Arnold Schönberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner, der in der Périchole auch spielerisch umfassend zum Einsatz kommt und das auch fabelhaft meistert. Die Freude am Libretto lässt sich anmerken und als Volk von Lima, sowie als Hofdamen und Minister trägt der Chor einen ganz wesentlichen musikalischen Bestandteil zur gelungenen Vorstellung bei. Ohnehin ist dieser immer ein Garant für eine gelungene Gestaltung, wenn es um Chorszenen und große „Statisterie“ geht, nur daß dieser Chor eben auch singen und spielen kann, dass es eine wahre Freude ist. Wie immer war auch heute Abend nichts daran auszusetzen, bravi tutti!
Dann sind natürlich die Urgesteine Gerhard Ernst als Don Pedro und Boris Eder als Graf Panatellas zu nennen. Beide sind gestandene Operettenprofis und bestechen auch an diesem Abend durch jede Menge Schmäh. Es ist eigentlich ein Trauerspiel, daß beide im Ensemble der Volksoper nicht mehr vorzufinden sind, beweisen sie doch, wie wichtig die Kombination aus klugem Spiel und gelungenen Gesangseinlagen für gelungene Operetten ist. Die feine Klinge die Habjan in dieser Inszenierung führt, setzen beide wirklich gekonnt um und sorgen dafür, daß die Pointen sitzen. Beide sind ebenso elementar für den Abend und wissen in ihrem Charm Sympathien und große Zustimmung auf sich zu ziehen. Bravi, bravissimi die Herren, das war klug, tiefsinnig, charmant und eine Freude!
Als Vizekönig von Peru macht auch Alexander Strömer wirklich Spaß. Strömer setzt diesen als klassischen Despoten auf, der einerseits von seinen Trieben gesteuert wird, andererseits dann über ein exzellentes politisches Gespür verfügt: Als Périchole und Piquillo ihr Schicksal vor die Kameras bringen (hier vor denen des des PRF – Peruanischer Rundfunk), weiss er sofort, daß die öffentliche Meinung nach Gnade schreit, die er natürlich gerne in Form einer Amnestie und der Überlassung aller finanziellen Zahlungen dann notgedrungen gewährt. Herrn Strömer gelingt es dabei auch, Tiefe in den gespielten Charakter zu bringen: Was treibt einen solchen Menschen eigentlich an? So sehen wir ihn zu Beginn des Stücks tatsächlich nach der Wahrheit suchen, er will nicht mehr die Ja-Sager um sich haben, sondern sich inkognito ein Bild von der echten Meinung der Bevölkerung verschaffen. Ein Despot auf Läuterung? Vielleicht. Nichtsdestotrotz brennen ihm beim Anblick der Périchole alle Sicherungen durch und er fällt in alte Handlungsmuster zurück. Dass Strömer eigentlich vom Schauspiel kommt, passt hier bestens, die genossene Gesangsausbildung hilft dabei, einen absolut glaubwürdigen und authentischen Despoten darzustellen, wie er eben in der Périchole präzise beschrieben ist.
Dann ist da noch das Paar Périchole und Piquillo. Ohne Frage hat David Fischer spätestens als Tamino vergangenes Jahr in Salzburg bewiesen, daß er ein lyrischer Tenor allererster Güte ist. So auch an diesem Abend und an zahlreichen Stellen ist er gesanglich schon fast zu schön für eine Operette. Dennoch ist er genau richtig besetzt, denn auch im Spiel verinnerlicht die Rolle, fragt sich – zu Recht – in was für einer absurden Clownswelt er eigentlich lebt und weigert sich, trotz Korrumpierungsversuchen durch Graf Panatellas und Don Pedro im Ibiza Style, da mitzumachen. Ganz offenbar ist das auch eine Herzensangelegenheit Herrn Fischers gewesen, hier mitzuspielen, sehr authentisch wirken sein Spiel und der Wunsch, sich gegen eine solche Welt der Korruption aufzulehnen. Die Klarheit seiner Stimme bildet dabei einen wunderbaren Kontrast zur harschen Realität. Quasi der Gesang des Piquillo als Symbol einer besseren, heren Welt. Für die Zukunft kann man sich nur wünschen, Herrn Fischer auch in anderen Rollen zu sehen, sowohl ein Don Ramiro als auch ein Ernesto sind ihm grundsätzlich zuzutrauen, bei passender Stimmentwicklung auch ein Tonio oder gar ein Parsifal. Bravo, bravissimo David Fischer, schön, prägnant, ein Ohrenschmaus!
An seiner Seite steht Anna Lucia Richter als Périchole, die während der Lockdowns vom Sopran zum Mezzo wechselte. Und zwar mit Erfolg: Den einfach (aber nicht dumm) gestrickten Charakter der Périchole unterstreicht sie damit ganz fabelhaft, lotet die Tiefen ihrer Stimme aus und kippt an jenen Stellen ins hemdsärmelige, wo die einfache Straßensängerin Périchole eben auch bodenständig ist. Ihr geht es nicht um großen Reichtum, sondern um eine vernünftige Lebensgrundlage und gemeinsam mit ihrem Geliebten Piquillo eben das machen zu können, was ihr am meisten Spaß macht: Musik. Dass damit heute auch die aktuell grassierende Inflation thematisch getroffen wird, ist dann natürlich sehr passend und so macht Frau Richter klar, daß ihre Périchole zwar einfach ist, aber sich durchaus in der Welt durchzusetzen mag. Brava, bravissima Anna Lucia Richter, eine bessere Besetzung für die Périchole kommt uns nicht in den Sinn.
Zu guter Letzt muss auch das RSO Wien genannt werden, welches unter der Leitung von Jordan de Souza die wunderbare Musik von Offenbach zum Funkeln bringt. Es mag der Tatsache geschuldet sein, daß La Périchole überwiegend aus Walzern besteht, wenn man hier reflexartig einen Wiener Klang erwartet, doch genau das ist eben in der Périchole nicht der Fall. Soll es hier auch gar nicht sein, denn das wienerisch angenehm schludrig-walzernde, was ausserhalb der Musik bis zur Freunderlwirtschaft reichen kann wird an diesem Abend ja eben angekreidet und auch musikalisch unschludernd aufgezeigt. Auch hier bleibt also nichts am Klangerlebnis auszusetzen und tatsächlich vereint Herr de Souza das RSO mit allen Klangeindrücken auf der Bühne zu einem vollen, satten Gesamtprodukt und Operettenvergnügen der Extraklasse. Bravi, bravissimi tutti!
So ist die Périchole im Ausweichquartier des (Musik)Theaters an der Wien nicht nur blendende Unterhaltung. Sie ist auch ein mahnender Fingerzeig, eine Eugenspiegelei auf die heutigen Zustände in Österreich. Ihr gelingt damit etwas, was sich so viele heute auf die Fahnen schreiben, woran sie aber scheitern: Unterhaltsam zu sein, alle Altersgruppen anzusprechen, Ästhetik auf der Bühne zu bieten und gleichzeitig das Salz in die Wunden jener zu streuen, die gewaltig Dreck am Stecken haben. Ein unbedingt zu empfehlender Abend!
Gualtier Malde