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WIEN/ Museumsquartier: PARADISE RELOADED (LILITH) von Peter Eötvös. Uraufführung

26.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Uraufführung im Museumsquartier: „Paradise reloaded (Lilith)“ von Peter Eötvös (Premiere: 25. 10. 2013)

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Annette Schönmüller als Lilith mit Eric Stoklossa in der Rolle des Adam (Foto: Armin Bardel)

 In der Halle E des Wiener Museumsquartiers fand am 25 10. 2013 die Uraufführung des neuesten Werks von Peter Eötvös statt: „Paradise reloaded (Lilith)“. Mit dieser Gemeinschaftsproduktion der Neuen Oper Wien mit dem Musikfestival WIEN MODERN hat der Komponist den Stoff seiner 2010 in München uraufgeführten Oper „Die Tragödie des Teufels“ überarbeitet, wobei er in den Mittelpunkt der Handlung Lilith stellt, die nach antiker jüdischer Tradition die erste Frau Adams war.

 Dazu ein Zitat aus dem Artikel „reboot system“ von Axel Petri-Preis, der im ausführlichen Programmheft abgedruckt ist: „Recht bald nach der Aufführung war Peter Eötvös klar, dass es ihn drängte, den verwendeten Stoff in einer weiteren Oper zu überarbeiten und in eine andere Richtung zu führen. Er rückte die Figur der Lilith (die nun auch im Titel steht) ins Zentrum und bat Walter Kobéra, dem das Werk gewidmet ist, mit der Neuen Oper Wien die Uraufführung auf die Bühne zu bringen.“

 Das Programmheft geht auch ausführlich auf die Etymologie des Wortes Lilith ein: „Im alten Sumer (Mesopotamien) bedeutete Lil Sturm oder Wind. Dem entspricht das babylonisch-assyrische Wort lílitu, ‚ein weiblicher Dämon oder Windgeist‘. Auch das Wort Laila, das hebräische (und arabische) Wort für Nacht, wird etymologisch damit in Zusammenhang gebracht, weshalb man traditionsgeschichtlich den Namen Lilith auch gerne mit Nachtgespenst über- und ersetzt findet.“ Darüber hinaus sind im Programmheft auch zwei lesenswerte Gedichte über Lilith abgedruckt.

 Die Handlung der 12 Szenen (Libretto: Albert Ostermaier), die ohne Pause gespielt wurden: Lucifer wurde mit drei Engeln aus dem Himmel verstoßen und will mit Lilith Adam finden und ihn durch die Wüste führen. – Im Paradies beißt Eva in die verbotene Frucht, wobei sie der bittere Geschmack auf die Idee bringt, das könnte das wahre Leben sein. Sie will hinter die Spiegel des Paradieses blicken. – Adam und Eva ziehen als Migranten durch die Wüste und begegnen drei Engeln: der erste fordert für einen Tropfen Wasser einen Kuss von Eva, der zweite weist darauf hin, dass die erste Nacht Gott gehört, der dritte kündigt an, Eva zu Gott zurückzubringen. Lucifer bietet Adam einen Pakt an: Sobald er den Glauben an die Menschheit verliert, ist er des Teufels. – Adam kehrt als General von einer Schlacht zurück und muss dem Volk erklären, dass die Söhne in Kampfhandlungen gefallen sind. Das Volk fordert den Tod des Generals, Eva will sich für ihn opfern. Lucifer protestiert und führt sie in die nächste Welt. – Als Adam beobachtet, wie ein Journalist in einer zerbombten Stadt getötet wird, keimen in ihm erste Zweifel an der Menschheit auf. Lilith schnallt Eva im Namen des Islam einen Sprengstoffgürtel um und schickt sie als Selbstmordattentäterin in die Stadt. Adam gibt Lucifer zu verstehen, dass er einen Neubeginn des Lebens wünscht. Lucifer führt ihn in die Zukunft. – In der Zukunft erblickt Adam absolute Monotonie und Gleichschaltung und kommt zum Entschluss, dass kein Mensch mehr entstehen darf. – Adam will mit Eva der Welt entfliehen, doch weist ihn der Erdgeist in seine irdischen Schranken. – Lilith bezeichnet Lucifer als Teufel auf Bewährung und betont ihre Unabhängigkeit. Sie erinnert daran, dass sie Adams erste Frau war, bis Gott ihr Unrecht tat und sie als Dämon ihr Dasein fristen musste. – In der Wüste verführt Lilith Adam und schläft mit ihm. Als Eva beinahe verdurstet, fordert Lilith Adam auf, ihr Wasser zu trinken zu geben. – Adam erkennt, dass das Wasser von Lilith vergiftet war und fordert Lucifer auf, sie zu töten. Lilith erzählt Adam, dass sie von ihm schwanger ist. Eva wird von Lucifer wieder zum Leben erweckt. – Lilith fordert Adam auf, Eva zu töten, doch Adam denkt an Selbstmord. Eva will sich für ihn opfern, was Lucifer verhindert. Als Eva Adam ihre Schwangerschaft eröffnet, schöpft Adam neue Hoffnung und verlässt mit ihr das Paradies. Lucifer kehrt desillusioniert zu Gott zurück. – Die schwangere Lilith bleibt allein zurück.

 Regisseur Johannes Erath gelang es, die zwölf Szenen in einer dichten Atmosphäre und mit eloquenter Personenführung auf die Bühne zu bannen. Die etwas karge Ausstattung mit vielen schrägen Ebenen, auf denen die Darsteller ihre körperliche Fitness beweisen mussten, und geringem Kostümbedarf (verständlich beim paradiesischen Thema Adam und Eva!) besorgte Katrin Connan. Für das Lichtdesign zeichnete Norbert Chmel verantwortlich, der in einigen Szenen das Publikum mit grellem Neonlicht gnadenlos blendete.

 Das amadeus ensemble-wien, das diese Oper in großer Besetzung (mehr als 50 Musiker) zu spielen hatte, wurde wie immer von Walter Kobéra geleitet, bei dem die expressive Partitur des Komponisten, die wiederum großen Farbreichtum aufwies und die Handlung facettenreich illustrierte, in bestens bewährten Händen lag. Dass die Musik von Peter Eötvös des Öfteren die Sängerinnen und Sänger zu „Stimmakrobatik“ zwingt, weiß man aus seinen früheren Werken.

 Schon allein deshalb war es für die Neue Oper Wien wichtig, ein für Sprechgesang erstklassiges Ensemble auf die Bühne zu stellen. In der Titelrolle der Lilith überzeugte die Mezzosopranistin Annette Schönmüller sowohl stimmlich wie auch darstellerisch. Mit ihrer stimmlich großen Bandbreite bewältigte sie alle Höhen und Tiefen ihrer anspruchsvollen Rolle bravourös. Dazu gelang es ihr, auch das Dämonische der Figur schauspielerisch exzellent darzustellen. Berührend, wie sie am Schluss – schwanger und von Adam verlassen – innig singt: „Mein Herz, siehst du’s, es ist aus Glas. Es wird blind, wie die Liebe, die es trug, von der Welt bleibt nichts, nur Betrug. Hinter den Spiegeln warten nur Spiegel. Sie werden immer wieder brechen, sieh nur den Himmel, er ist aus Spiegeln gebrochen und seine Sterne fallen tief in den Herzen als Splitter, wie die Liebe.“

 Ihr gleichwertig war der amerikanische Bariton David Adam Moore als Lucifer. Auch er beeindruckte sowohl stimmlich wie auch darstellerisch und verlieh der Rolle nicht nur dämonische Züge. Der in Dresden geborene Tenor Eric Stoklossa stellte einen geschmeidigen Adam auf die Bühne, der vor allem in den leidenschaftlichen Szenen starken Eindruck hinterließ. Ihm ebenbürtig die junge amerikanische Sopranistin Rebecca Nelsen als Eva. Stimmlich hatte sie „teuflische“ Höhen und schrille Töne zu bewältigen, darstellerisch machte sich auch im Bikini eine gute Figur.

 Die drei Engel wurden von Gernot Heinrich, Andreas Jankowitsch und Michael Wagner mit großem schauspielerischen Einsatz, die drei Damen des Orakels von Avelyn Francis, Anna Clare Hauf und Christina Sidak in eleganten Kostümen gegeben.

 Das Premierenpublikum feierte am Schluss alle Mitwirkenden inklusive Leading-Team mit ungewöhnlich lang anhaltendem Applaus, wobei die Darstellerin der Lilith und der Dirigent mit vielen Bravorufen bedacht wurden. Enthusiastisch gefeiert wurde der Komponist Peter Eötvös! Dass von den oberen Reihen lange Zeit schrille „Bravi“-Rufe tönten, freute sicherlich die Verantwortlichen der Neuen Oper Wien, nährt aber den Verdacht nach einem Wiederaufleben der unseligen Claqueur-Zeit.

 Udo Pacolt

 

 

 

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