Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Literaturmuseum: UTOPIEN UND APOKALYPSEN

08.10.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek
UTOPIEN UND APOKALYPSEN
Die Erfindung der Zukunft in der Literatur
Vom 8. Oktober 2020 bis zum 25. April 2021

Die Erfindung der Zukunft

Entweder man träumt sich Paradiese (auf Erden, wohlgemerkt), oder man malt sich den denkbar schrecklichsten Untergang aus – so geht der Mensch nun einmal mit der Zukunft um, und es sind in erster Linie die Dichter, die sich damit beschäftigen. In einer Zeit, wo ein möglicher Schrecken in Form einer Pandemie uns bereits aktuell heimsucht, ist eine Ausstellung, wie sie das Literaturmuseum der Nationalbibliothek bietet, natürlich besonders interessant: „Utopien und Apokalypsen“ faszinieren immer, um wie viel mehr, wenn etwas davon so spürbar näher rückt…

Von Renate Wagner

Die Untergangsvisionen     Ob es Religionen waren, ob Tyrannen drohten, ob einfach die menschliche Phantasie waltete, immer schon hat sich der Mensch nicht nur seinen persönlichen Untergang vorgestellt, sondern das Ende der ganzen Species. Die Reiter der Apokalypse (ein sehr schöner Kupferstich ist in dieser Ausstellung in einer Luther-Bibel von 1534 zu sehen) werden im allgemeinen als Krieg, Seuche, Hungersnot bezeichnet, aber der Mensch hat sich auch immer vor Kometen gefürchtet (Nestroy ätzte; „Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“ und später hat die Kronen Zeitung ganze Titelseiten mit Komet-Ängsten voll gezeichnet), ebenso vor Naturkatastrophen, und wir können das Repertoire auf Atombomben, Terroranschläge oder auch ein totales Computer-Blackout ausweiten (die Folgen will man sich gar nicht vorstellen). Zu allem ist der Literatur schon etwas eingefallen. Aber, weil der Mensch ein Überlebenskünstler ist, konnte er bisher immer feststellen, dass es „nachher“, nach der Katastrophe, weiter gegangen ist. Und so schrieb Giovanni Boccaccio quasi als Antwort auf die Pest sein „Decamerone“: Auch das ist in einer schönen, alten Ausgabe in der Ausstellung zu sehen.

Bücher in den Gängen   Das so genannte „Grillparzer Haus“ (Johannesgasse 6, das frühere Hofkammerarchiv, in dem er viele Jahre arbeitete) ist ein Gebäude, das schon zu Grillparzers Zeiten alt war. Man hat es glücklicherweise innen nicht grob umgebaut, so finden die Ausstellungen im 3. Stock in alten Räumlichkeiten mit runden Decken und Gängen-Konstruktionen statt. Fünf Gänge enthalten zu fünf Themen vor allem Bücher, aber wie es heute üblich ist, mit viel Videomaterial und einer Hörstation angereichert. Auch eine Installation („Insel der Seligen (GIER)“ von Klaus Wanker), deren Sinn sich nur nach einigen Drehungen der Gehirnwendungen erschließt, wenn überhaupt, ist im Angebot. Vor allem aber – Bücher, denn sie erzählen von unseren Hoffnungen und Ängsten.

Der Zweifel an Utopia      Der Klassiker ist der „Utopia“-Roman von Thomas Morus (Ausgabe von 1518), der von einem Seemann erzählt, der auf einer Insel eine ideale Gesellschaft vorfindet. Das ist ebenso Wunschdenken wie jene allegorische Landkarte von 1740, in der das „Schlaraffenland“ dargestellt ist, mit allen erdachten Provinzen (die sehnsuchtsvolle Vision, dass der der Mensch gar nichts tun muss – und Milch und Honig von selbst fließen…). Im Grunde steht der Mensch den Träumen einer idealen Welt immer skeptisch gegenüber, sie kippt oft ins Gegenteil, Heilsverheißung ist am Ende nur durch totale Repression zu bekommen (was viele Sekten zeigen).

Sie haben es gewusst     Schreitet man von Buch zu Buch, erkennt man, um wie viel klüger Autoren oft waren als Zukunftsforscher und Wissenschaftler. Orwells „Big Brother“ ist da – vermutlich kann man in London keinen Schritt machen, ohne von einer Kamera erfasst zu werden, und was Google und Amazon über den einzelnen Menschen wissen, ist vielleicht mehr, als er selbst weiß. Ray Bradbury hat in „Fahrenheit 451“ erkannt, dass man den Menschen mit billiger Unterhaltung zuschütten wird, so dass er mit dumm-verklebten Hirnen gar nicht mehr denken kann. Und vielleicht ist Frankensteins Monster, das die junge Mary Shelley sich ausgedacht hat, gar nicht mehr so fern. Einiges hat sich sogar nachweislich erfüllt:

Das „Altneuland“, das Theodor Herzl für die Juden erhoffte, gibt es, nur heißt es nicht Palästina, sondern Israel… Und manches bleibt – wunderbare – Kopfgeburt: Man spekuliert mit Politischem („Wenn das der Führer wüsste“ von Otto Basil) und Phantastischem (Karel Capek). Gegenwartsliteratur ist reichlich vorhanden, von Huxley bis Handke.

Seitenblicke     Nicht nur die Dichter haben die Zukunft ins Auge gefasst, auch die Filmemacher, ob bedrohlich „Metropolis“, ob poetisch wie Marlen Haushofer in ihrem Buch „Die Wand“, das auch als Filmausschnitt gespielt wird. Und haben nicht die so genannten „Schundhefte“ („Perry Rhodan“) Generationen in eine phantastische Zukunft geführt? Das „Zukunftslabor“, das in einem Extrazimmer am Ende untergebracht ist und wo man einzelne Bücher nehmen und lesen kann, wird von einem riesigen Mundschutz gekrönt: die Apokalypse – ist sie schon da?

 

Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek,
Johannesgasse 6, 1010 Wien
Utopien und Apokalypsen.
Die Erfindung der Zukunft in der Literatur
Vom 8. Oktober 2020 bis zum 25. April 2021
Di bis So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr,

 

Diese Seite drucken