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WIEN / Literaturmuseum: IM RAUSCH DES SCHREIBENS

10.05.2017 | Ausstellungen, KRITIKEN

LitMus  Plakat imrausch~1
Alle Fotos: Literaturmuseum

WIEN / Literaturmuseum im Grillparzerhaus:
IM RAUSCH DES SCHREIBENS
Von Musil bis Bachmann
Vom 28. April 2017 bis zum 11. Februar 2018

Damit die Maschine rollt

Ein Auto braucht Treibstoff, ein Dichter braucht – Inspiration? Aber woher kommt diese? Nur von Luft und faulen Äpfeln? Oder ist da auch Stärkeres angesagt? Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek hat sich eine besonders attraktive Ausstellung ausgedacht. Die sonst verpönten Süchte – pfui Alkohol, Nikotin, Rauschgift – erscheinen hier in geradezu hinreißend verklärter Form. Und man setzt sich nicht nur auf die Spur dieser „verderblichen“ Laster und „bedauernswerten“ Opfer, die ihnen erlegen sind, sondern auch auf jene großer Kunstwerke… 170 literarische Originale bietet das Literaturmuseum für Literaturfexe.

Von Renate Wagner

Wien –  Am 27. April eröffneten Generaldirektorin Johanna Rachinger und Schriftsteller Franz Schuh die neue Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichische Nationalbibliothek. „Im Rausch des Schreibens“ präsentiert Literatur zwischen Exzess und Askese und zeigt außergewöhnliche Exponate von Musil bis Bachmann.

Zuerst das Schreiben Im Obergeschoß des Literaturmuseums, einst das k.u.k. Hofkammerarchiv, heute nach dem dort lange Zeit waltenden und schuftenden Dichter und Direktor der Institution „Grillparzer-Haus“ genannt, hat man die ideale Form gefunden, um Papier (darum geht es letztlich) zu präsentieren: In riesigen Stellagen, wo man alles hineinstellen kann, nicht nur Bücher und Manuskripte, sondern auch Schreibmaschinen, wo man Fotos affichiert und Zitate groß druckt. Und wenn man auch auf einem Bild Elfriede Jelinek 1984 vor der Frühform eines Computers erblickt (mit dem Hinweis, dieser sei für sie und ihr Schreiben erfunden worden), so geht es doch noch um die gute, alte Schreibmaschine… und um die Hand. Unglaublich, wie viel Dichter auch herum gekritzelt haben (Jonke tat es exzessiv), wie viele geheimnisvolle Pläne sie zeichneten, wie viele Notizen sie sich machten… Und dann sieht man in einem Film, wie die Bachmann mit einem Kuli in der Hand ein mit Schreibmaschine geschriebenes Manuskript korrigiert. Keine Frage, wer es ernsthaft betreibt, weiß es: Schreiben ist eine Heidenarbeit. Und alles andere als leicht.

Da braucht man Hilfe… Die Stimulanzia sind klassisch (Sex ist ausgespart): das Glas Wein oder Stärkeres, die Zigarette, Zigarre, Pfeife, und schließlich das Rauschgift, geraucht, geschnüffelt, gespritzt, Hauptsache es versetzt den Dichter in jenen „Rausch“-Zustand (wenn’s bis Trance und Ekstase führt, umso besser) in dem ihm etwas Substanzielles, Haltbares einfällt (spätere nüchterne Überarbeitung eingeschlossen). Und das macht die Dichter dann oft so glücklich, dass sie diese Erfahrungen auch in ihren Werken preisen… die Bachmann tat es gern (und wohl sogar dankbar). Ernst Jandl zeichnet seine Bedürfnisse auf, das Glas, die Zigarette, den Bleistift – und wer weiß, welch sonderbare Utensilien noch. Und unter den Rauschgift-Essern, die bekenntnishaft erzählen, finden sich ganz große Namen der Literatur, vom Klassiker der Sucht, Thomas de Quincey, bis Hans Fallada und Aldous Huxley.

LitMus  rauschgiftesser~1Spaziergang durch die Exzesse „Ganz Wien is heit auf Heroin“ – das war Falco, der dies „dichtete“, und auch ein Pop-Poet darf sich in die literarische Landschaft fügen. Tatsächlich will man ihn mit seinen Notizbüchern, in denen er Entwürfe zu Pop-Texten notierte, in die österreichische Literatur holen. Zu den „Süchtlern“ gehört er jedenfalls. Räusche aller Arten, die auch Grenzen überschritten, werden hier thematisiert, keinesfalls aber moralisch verurteilt. Robert Musil schrieb über das „wunderbares Gefühl der Entgrenzung und Grenzenlosigkeit“, und wenn dann am Ende der „Mann ohne Eigenschaften“ steht, wer wollte dann mit einem Dichter rechten? Allerdings: So manch einer hat sich auch mit Drogen zugrunde gerichtet (Georg Trakl beispielsweise). Oder mit Alkohol – der göttliche Säufer Joseph Roth. Oder der 35jährig im Rausch erstickte Werner Schwab… Einen kleinen Ausflug zu einem anderen Laster macht man mit Adalbert Stifter: Dessen exzessive Lust war das Essen, oft sechsmal am Tag…

Noch einmal: Das Rauchen… Wenn man nur rauchen könnte, klagte Friedrich Torberg einmal. Ist man am Ende der Ausstellung angelangt, ist die finale Wand voll von Bildern rauchender Literaten, Arthur Schnitzler mit Zigarre ziert die „Österreichische Raucherzeitung“, Doderer war Pfeife rauchend Titelbildheld des „Spiegels“, Thomas Bernhard liegt rauchend am Sofa, Friederike Mayröcker sitzt rauchend an ihrer Schreibmaschine. „Ich lebe, um zu rauchen“, schrieb Robert Musils 1937 in sein Tagebuch. Wie gut, dass die meisten von ihnen tot sind, was täten sie in unserer rauch- und lustfreien Welt?

Literaturmuseum, 1. Bezirk, Johannesgasse 6:
Im Rausch des Schreibens: Von Musil bis Bachmann
Bis 11. Februar 2018, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr,
In den Monaten Juni bis inklusive September täglich geöffnet

 

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