Leopold Museum
VERBORGENE MODERNE –
FASZINATION DES OKKULTEN UM 1900
Vom 04. September 2025 bis zum 18. Jänner .2026
Der ewige Reiz des Irrationalen
Esoterik ist „in“, von der Yoga-Matte bis zum Ashram-Besuch für Westler auf dem Selbstfindungstrip. Das alles ist nicht neu. Allein durch die Unlösbarkeit des Rätsels „Tod“ hat Spiritualität die Menschheit durch ihre ganze Geschichte begleitet. Im 19. Jahrhundert allerdings explodierte sie in alle nur denkbaren Richtungen und hat ihre Zeugnisse in der Kunst hinterlassen. Dem spürt nun das Leopold Museum in der Ausstellung „Verborgene Moderne“ nach, die sich der „Faszination des Okkulten um 1900“ widmet.
Von Renate Wagner
Gott ist tot Dass Gott tot sei, hat Friedrich Nietzsche (seither millionenfach zitiert) postuliert, und je technischer, materialistischer, nüchterner, wissenschaftlicher, in den Städten unwirtlicher und auch gnadenloser kapitalistisch die Welt wurde, umso mehr merkte man, wie sehr man ihn (Gott nämlich) braucht. Wenn auch in anderer Form als der herkömmlichen europäischen Religionen (also die Formen des Christentums). Da passte dann die „Theosophie“ mit ihrer abstrahierten Göttlichkeit gut als Ersatz. Ein Zitat von Hermann Bahr weist zu Beginn der Ausstellung auf innere Leere und die Sehnsucht nach Tempeln für neue Götter hin – ein Modell des Secessions-Gebäudes überzeug von dessen „tempelartigem“ Charakter – und gewidmet ist es der Kunst. Und ein Gemälde wie „Der Kreislauf des Lebens“ von Hans Canon zeigt gleich zu Beginn die menschliche Existenz quasi als Höllensturz, zu dem es eine Alternative geben musste.
Mit Wagner in den Rausch Wir wissen heute, was die Philosophie von Friedrich Nietzsche (in einer Büste von Gustinus Ambrosi zu sehen) für die Intellektuellen des 19. Jahrhunderts bedeutete, und mehr noch war es die Musik Richard Wagners (dessen Totenmaske ausgestellt wird), die die Menschen in rauschhafte Zustände aus dieser Welt hinaus entführte. Kolo Mosers „Tristan“-Gemälde ist ein Beispiel für die Umsetzung in Malerei. Und angeblich ging von Wagners Tierliebe die Bewegung vegetarischer Kost aus, die ja heute wieder (von Bio bis Vegan) voll im Trend liegt.
Zurück zur Natur Die Ausstellung der beiden Kuratoren Matthias Dusini und Ivan Ristić stellt sich breit auf, ist fast eher eine kulturhistorische Abhandlung, die die Kunst als Zeugen aufruft. Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913), ein bayerischer Maler, überzeugter Nudist, selbst ernannter Prophet (und natürlich Wagnerianer) gründete in Wien eine Landkommune – auch das kam im 20. Jahrhundert wieder, wo viele Intellektuelle in der Mitte ihres Lebens als Aussteiger die Tätigkeit am Bauernhof erfüllender fanden als das stressige Berufsleben in der Stadt.
Was ist der Mensch? Ist der Mensch ein Körper oder mehr? Der „Okkultismus“, unter dem man die spirituellen Strömungen der Epoche vor und nach 1900 zusammen fasste, glaubte an die „Aura“, an die „Feinstofflichkeit“, das den greifbaren Menschen umgibt – und tatsächlich: Wenn man Richard Gerstls berühmten Halbakt wieder sieht, ein Prunkstück des Leopold Museums und bereits zig-mal ausgestellt, entdeckt man tatsächlich die „Aura“ neu, mit welcher der Künstler sich selbst umgeben hat… Interessant in der Entwicklung, dass man einerseits von der Realität abrücken wollte, dann aber andererseits versuchte, etwa die Aura durch fotografische Experimente oder Röntgenstrahlen wissenschaftlich zu beweisen….
So kommt alles zu allem Mit Graphiken versucht die Ausstellung, die Vernetzung der vielen Strömungen zu zeigen, die sich rund um den Okkultismus bildeten – da ging es um die Frauenbefreiung in jeder Hinsicht (wallende Gewänder statt Korsett), um die erlösende Bewegung durch den Tanz, um gesundes Essen ohne Fleisch (weil das Tierwohl ein Thema geworden war), Leben mit der Natur (auch hinauf in die Berge), und um alles, was der Spiritismus noch bot. Die Ausstellung, die neben 180 Kunstwerken noch gut 120 Objekte vieler Art bietet, wirft solcherart auch einen Blick auf die Kommerzialisierung der Bewegung – und jene „Medien“, die gegen klingende Münze versprechen, den Kontakt zu geliebten Toten herzustellen, gibt es heute noch. Ganze Seiten mit Reklamen für Okkultes in den Zeitungen zeigen, dass das auch eine lukrative Industrie war.
Sehr viel große Kunst Natürlich ist es, neben dem kulturhistorischen Aspekt, auch eine Kunstausstellung, und oft kann man den „okkulten“ Ansatz der Werke auch beweisen – etwa, wenn der František Kupka weiße Ströme aus Körpern fließen lässt. Schließlich war er selbst auch als Medium tätig. Und dass in den melancholischen Werken von Emil Nolde das Unterbewusste auf spiritueller Ebene schwebte, wird auch niemand anzweifeln. Wenn man allerdings Egon Schieles „Selbstseher“, an sich den Mann und den Tod dahinter darstellend, plötzlich als sein immaterielles zweites Ich sehen möchte, das sich aus dem realen herausloslöst, ist das Gegenstand der Interpretation. Überzeugend dagegen ist die Wahl von Ferdinand Hodlers Bild „Blick ins Unendliche“, das am Ende der Ausstellung hängt. Es als Signet für Plakat und Katalog zu wählen, steht für die Abgehobenheit des (nackten) Menschen in seiner Einsamkeit.
Auch ein Horrortrip Aspekte und Werke der Ausstellung sind so zahlreich, dass man gar nicht alles erwähnen kann. Jedenfalls ist die Phantasie von Künstlern in jede Richtung verzweigt – wenn etwa die Köpfe der Gertraud Reinberg-Brausewetter wirken, als stammten sie aus einem Horrorfilm von heute.
Oder wenn man weiß, dass diese Bewegung – wie jede – auch mißbraucht werden konnte, wenn Nietzsches Idee vom Übermenschen bei Jörg Lanz von Liebenfels zum „Arier“ wurde („Ariosophie“), der den Rest der Menschheit zum Untermenschen degradierte… In vielen Teilen ist die Ausstellung auch eine schaurige Erfahrung, weil es in den Tiefen der menschlichen Seelen ja auch nicht immer schön zugeht… und in den Ideologien, die sich ausbreiten, auch nicht.
Leopold Museum
VERBORGENE MODERNE –
Faszination des Okkulten um 1900
Vom 04. September 2025 bis zum 18. Jänner .2026