WIEN / Leopold Museum:
RUDOLF WACKER
Magie und Abgründe der Wirklichkeit
Vom 30. Oktober 2024 bis zum 16. Februar 2025
Der Herr der Puppen
Ein prall-rosiges Puppengesicht mit starren blauen Augen ziert das Plakat zur Großausstellung über Rudolf Wacker im Leopold Museum. Puppen begegnen dem Betrachter im Werk des Vorarlberger Künstlers durch dessen ganzes Schaffen hindurch immer wieder. Sie sind allerdings nicht niedlich und hübsch, sondern erzählen seltsame Geschichten. So, wie das Werk des zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit angesiedelten Malers und Graphikers hinter den Genres Porträt, Landschaft und Stillleben seltsame und mannigfaltige Welten offenbart. Die mit 149 Exponaten reich bestückte Ausstellung liefert den Überblick über Leben und Werk.
Von Renate Wagner
Rudolf Wacker Die große Villa in Bregenz, in der Rudolf Wacker den Großteil seines Lebens verbracht hat, steht noch immer und ist in Familienbesitz – man sieht in der Wiener Ausstellung ein Bild, das seine Enkelin davon gemalt hat. Wackers Vater, ein erfolgreicher Baumeister, hat das Haus gebaut. Rudolf war das vierte Kind der Familie und kam am 25. Februar 1893 zur Welt. Geprägt wurde sein Leben durch die Geschichte – der Erste Weltkrieg riß ihn aus seinem Kunststudium in Wien und Weimar und holte 1914 den 21jährigen in den Krieg. Er hat in fünfjähriger russischer Kriegsgefangenschaft gezeichnet, konnte aber erst nach der Rückkehr aus Sibirien sein Künstlerleben wieder aufnehmen und zu malen beginnen. Nach wenigen Jahren in Berlin kehrte er dauerhaft in die Heimat zurück. Obwohl in der deutschen Künstlerszene vernetzt, blieb er also im Bodenseeraum, was den Blick auf ihn als „Vorarlberger Künstler“ verengte. Seine Kunst, die sich nicht dem Gefälligkeitsideal der Nationalsozialisten fügte, fiel diesen zum Opfer wie er selbst. Er starb erst 45jährig am 19. April 1939, wohl nach Drangsalierung durch die Gestapo. Private Dokumente, darunter Beispiele der Tagebücher, die Wacker lebenslang führte, sind in der Wiener Ausstellung zu sehen.
Bregenz und der Bodensee Zu einer Zeit, wo München, Berlin und Wien die großen Kunstzentren waren, wo es viele auch nach wie vor nach Paris zog, blieb Rudolf Wacker die meiste Zeit seines Lebens in seiner Heimat, die ihm, was seine Landschaftsbilder betraf, auch zum Thema wurde. Dennoch stellte er im deutschen Sprachraum aus, war Mitglied von „Der Kreis“, der 1925 gegründeten, Länder übergreifenden Künstlervereinigung am Bodensee. Einflüsse verschiedenster Kunstrichtungen spiegeln sich in seinem Werk und sind in der Wiener Ausstellung gut erkennbar – hier ahnt man Kokoschka, dort Dix, da wieder Ensors Maskenwelt, ein Hauch Chagall, ein kubistischer Hintergrund, aber es gibt auch Häuserfronten, die an Vermeer erinnern. Tatsächlich hat, wenn man es denn so festlegen will, Wacker als „Expressionist“ begonnen und wandte seinen Stil der „Neuen Sachlichkeit“ zu, aber überall spürt man die persönliche Handschrift und auch Thematik. Jedenfalls war er ein Künstler, der sein Handwerk beherrschte, ohne je der Versuchung zu verfallen, es einfach realistisch einzusetzen.
Die Wiener Ausstellung im Leopold Museum ist die erste in Wien seit der Personale 1958 im Belvedere und holt den Künstler erfolgreich aus dem „Vorarlberger“ Eck. In seiner unmittelbaren Heimat hochgeschätzt, wurde der Begriff „Provinz“ doch weit enger und falscher mit Wacker verbunden, als es ihm zukommt.
Gesichter, Körper, Menschen… Porträts waren ein Schwerpunkt in Wackers Schaffen und auch eine seiner Stärken. Wie sehr er die Stile dabei wandelte, zeigt sich an vielen Selbstporträts, die von aggressiver Expressivität (1924 malte er sich mit Rasierschaum im Gesicht) bis zu klarster, nüchterner Sachlichkeit reicht, was die Ausstellung betont, indem ein ähnlich geartetes Selbstporträt von Otto Dix daneben gehängt wird. Wackers Ehefrau Ilse Moebius, die er 1922 heiratete, war ihm vielfach Modell, wobei Wackers Interesse an Sexualität nie zur konventionellen Ästhetik weiblicher „Schönheit“ führte.
Idylle am See? Rudolf Wacker hatte es von seinem Zuhause nur ein paar hundert Schritte bis zum Bodensee, der ihm immer wieder zum Motiv wurde, ganz selten in starken Farben trügerisch schön, meist mit jener geheimnisvollen Aura, die auch seine Häuserfronten auszeichnen, so dass man sich fragt, was den Maler wohl bewogen hat, gerade diese schlichten Ecken zu malen… aber das Interesse am Alltäglichen, am sonst Unbeachteten ist immer wieder deutlich zu spüren. Auch seine (oftmals kargen) Stillleben verblüffen auf diese Art, besonders durch die seltsamen Formen von Kakteen, die sich dort finden.
Und immer die Puppen Was das Werk von Rudolf Wacker aber zusätzlich so enigmatisch macht, sind seine Puppen, die er immer wieder in jeder Form in seine Bilder „einstreut“ oder auch zum zentralen Thema macht. Allerdings nie in der Form der Lieblichkeit, sondern immer als seltsame, auch verzerrte, auch bedrohliche Geschöpfe, die Fragen aufwerfen. Ein verrenktes Püppchen neben einem steifen Schäfchen – wo bleibt da die Idylle? Oder Kinderzeichnungen, die er in seine Bilder hineincollagierte – was will er damit sagen? Billige Antworten sind da nicht zu erwarten.
Als Rudolf Wacker mit dem Aufkeimen des Nationalsozialismus genau erkannte, dass seine Formen- und Themenwelt hier nicht beliebt sein würde, malte er am Ende kleinformatige Puppen- und Blumenbildnisse, auch in der Hoffnung, so etwas verkaufen und davon leben zu können.
Bei mancher Blumenvase könnte man eine Konzession an Publikumsgeschmack vermuten – aber die Kuratorinnen der Ausstellung (Laura Feurle und Marianne Hussl-Hörmann) wiesen auf immer wieder verschlüsselte Aussagen hin. Rudolf Wacker war schließlich lebenslang ein Unangepasster. Möglicherweise hat ihn sein so früher Tod vor Schlimmerem bewahrt. Die Nachwelt zeigt ihre Wertschätzung – eines seiner Selbstbildnisse wurde um mehr als eine halbe Million Euro versteigert.
Leopold Museum
RUDOLF WACKER
Magie und Abgründe der Wirklichkeit
Vom 30. Oktober 2024 bis zum 16. Februar 2025
Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr