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WIEN / Leopold Museum: RICHARD GERSTL

29.09.2019 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Leopold Museum:
RICHARD GERSTL
INSPIRATION – VERMÄCHTNIS
Vom 27. September 2019 bis zum 20. Jänner 2020

Der Künstler
im Kontext

 

 

 

Richard Gerstl (1883-1908) ist – und das schmerzt Österreichs Kunsthistoriker – noch immer nicht so berühmt, wie er sein sollte. Gut zwei Jahrzehnte jünger als Klimt, drei Jahre älter als Kokoschka, sieben Jahre älter als Schiele, stand er mehr als gleichwertig in deren Kreis. Er starb als Erster von ihnen im Alter von 25 Jahren. Angesichts seiner kurzen Schaffensspanne von vier Jahren hinterließ er ein großes Werk – und war wohl der erste österreichische Expressionist. Dennoch steht er im Schatten der ungleich berühmteren Zeitgenossen. Die monographische Ausstellung in der Frankfurter Schirn-Halle 2017 (und anschließend in New York) hat einiges dazu getan, seinen Ruhm über Österreich hinaus zu tragen. Die Ausstellung im Leopold Museum versucht nun, Richard Gerstl in den Kontext seiner Vorgänger und „Erben“ zu stellen und so seine Stellung in der Kunstgeschichte – nicht nur der österreichischen – zu fixieren.

Von Renate Wagner

Richard Gerstl Gerstl, geboren 1883 in Wien, stammte aus wohlhabender Familie und hatte zwei ältere Brüder, von denen einer, Alois, später eine entscheidende Rolle für die Vermittlung seines Werks spielte (und über den auch Rudolf Leopold viele Bilder erwerben konnte). Das Geld des Vaters ermöglichte Gerstl, der zu Lebzeiten aus seiner Kunst nie ein Geschäft machte, seine Existenz. Dass er sich nicht in die Kreise von Lehrern, Künstlerkollegen, Kunsthändlern mischte und auch nicht ausstellen wollte, trug schuld an seiner späten „Entdeckung“ lange nach dem Ersten Weltkrieg (durch den Kunstkenner Otto Kallir-Nierenstein). Gerstl, der weit gestreckte geistige Interessen hatte, fand sich im Kreis rund um Arnold Schönberg, schätzte und bewunderte den Komponisten, der selbst malte – eine Beziehung, die zu seinem Verhängnis wurde und zu seinem Tod durch eigene Hand 1908 führte.

Schicksal Mathilde Das Leopold Museum gestaltet keine explizit biographische Ausstellung, dennoch schlägt das Schicksal gleich im ersten Raum zu. Hier sind die Gemälde „Gruppenbild mit Schönberg“ im Hochformat und die „Familie Schönberg“ (Arnold, Mathilde, zwei Kinder) zu sehen, auch drei Porträts jener Mathilde Schönberg, in die Gerstl sich hoffnungslos verliebt hat (was erwidert wurde), womit er auch seine ihm so wichtige Beziehung zu Arnold Schönberg zerstörte. Eine Spannung, die der junge Mann nicht ertrug und mit seinem Tod endete.

Gerstl im Hause Leopold Diethard Leopold, der schon eine schmale Monographie über Gerstl vorgelegt hat und gemeinsam mit Leopold-Direktor Hans-Peter Wipplinger die Ausstellung gestaltet hat, ist mit diesem Künstler sein Leben lang vertraut. Sein Vater, der so qualitätssichere Sammler Rudolf Leopold, besaß eine große Anzahl von dessen Werken. In einer Veranda hingen die beiden berühmten Selbstbildnisse des Künstlers nebeneinander: Jenes frühere (datiert 1902 / 04) als Halbakt, wo er mit großen Augen fast starr in die Welt blickt. In diese Augen sah der junge Diethard fasziniert, wann immer er vorbei kam. Das andere Selbstbildnis als Akt, 1908 kurz vor seinem Tod entstanden, mit geradezu verschleierten Augen, verschreckte den kleinen Jungen hingegen. Er reagierte ganz genau auf die Stimmung der Werke… Die Sammlung Leopold besitzt 16 Gerstls (mit Dauerleihgaben 19), die Ausstellung konnte 50 der von ihm erhaltenen 70 Werke zusammen bringen. Die beiden hochformatigen „stehenden“ Selbstbildnisse hat man übrigens nicht, wie es etwa in Frankfurt der Fall war, nebeneinander gehängt, sondern zeigt sie von einander entfernt in verschiedenen Zusammenhängen. Mit den Werken der „flankierenden“ Künstler sind es über 200 Ausstellungsobjekte.

In Gesellschaft der Größten Das Konzept der Ausstellung liegt in der Einordnung. Wenn zwei Gerstl-Selbstbildnisse, darunter jenes „lachende“, das dem Betrachter schier entgegen springt, neben einem Selbstbildnis von Van Gogh hängt, dann leuchtet – allein in der Strichführung – die Verwandtschaft ebenso ein wie zwischen dem stehenden Porträt von Ernst Diez, 1907, das neben dem in gleicher Haltung gemalten Gemälde steht, das Edvard Munch 1906 von Harry Graf Kessler geschaffen hat.

Gerstl eingebettet in die Kunst seiner Zeit, Vorbilder, die fast noch Zeitgenossen waren. Und man zeigt auch jene, die nach ihm kamen – und ob es Martha Jungwirth mit ihrem an Gerstl gemahnenden Strich ist, ob Chaim Soutine mit der Intensität seiner Bilder, aber auch Francis Bacon ist vertreten oder Willem de Kooning. Auch Arnulf Rainer, Günter Brus, Otto Muehl oder Herbert Brandl sind Verwandte im Geist. Man erkennt die Zusammenhänge, wenn man durch die Ausstellung geht, deren Wände in sattem Blau gehalten sind.

Forschungsobjekt Gerstl Neben den Gemälden bietet die Ausstellung auch noch in Vitrinen eine Menge Material zu Gerstls Biographie, man hat seinem Leben einen eigenen Raum gewidmet. Die ausgestellten Dokumente stammen aus dem Besitz von Otto Breicha, der sammelte, forschte und viel für die „Entdeckung“ des Künstlers getan hat. Diese war schwierig, sperrig, weil das Werk stilistisch vielfältig und schwer einzuordnen ist und sich gänzlich vom damals noch herrschenden Jugendstil seiner Zeitgenossen emanzipiert hat. Man hofft, dass diese Ausstellung, die in Kooperation mit dem Kunsthaus Zug entstand (dort befindet sich die zweitgrößte Gerstl-Sammlung, dorthin geht die Ausstellung nach der Wiener Präsentation), Gerstls Rang endgültig und über jeden Zweifel hinaus bestätigen wird.

Leopold Museum:
RICHARD GERSTL
INSPIRATION – VERMÄCHTNIS
Bis zum 20. Jänner 2020,
täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr

 

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